Zum zweiten Mal jährt sich in Hofheim der Jahrestag eines lobenswerten Plans: Alle Probleme des kleinen Stadtteils Lorsbach sollten auf den Tisch – und dann sollte nach Lösungen gesucht werden. Die Bewohner des kleinen Stadtteils fühlen sich immer wieder ausgegrenzt vom städtischen Leben und beklagen den Verlust von Einkaufsmöglichkeiten und Treffpunkten: Der Magistrat sollte deshalb einen Weg für die Zukunft Lorsbachs erarbeiten, und zwar gemeinsam mit den Dorfbewohnern. So beschloss es das Stadtparlament. Es klang richtig gut. Doch was daraus wurde…
“Immer mehr Deutsche sind der Meinung, dass unser Staat mit seinen Aufgaben einigermaßen überfordert ist.” Diesen Satz postete Michael Cyriax vor einigen Tagen auf seiner Facebook-Seite. Der CDU-Landrat zeigte sich entsetzt über das Vorgehen seiner Parteifreunde in Berlin (“unseriös”, “enttäuschend”).
Aber warum in die Ferne schweifen? Cyriax sollte sich mal in der MTK-Kreisstadt umtun. Sein ehrlicher Befund würde dann sicher ganz ähnlich klingen: “Immer mehr Hofheimer sind der Meinung, dass der Magistrat mit seinen Aufgaben einigermaßen überfordert ist.”
Ein neues Beispiel untermauert diese Einschätzung: Es ist jetzt genau zwei Jahre her, als die Grünen im Stadtparlament einen Antrag eingebracht hatten, der einstimmig(!) angenommen wurde. März 2023 – der Auftrag des Stadtparlaments an die Stadtverwaltung klang unmissverständlich:
“Für Hofheim-Lorsbach wird zeitnah eine ganzheitliche Standortanalyse durch den Magistrat veranlasst, deren Schwerpunkt darauf liegt, sowohl die infrastrukturellen Probleme zu diagnostizieren und Lösungsansätze zu entwickeln als auch die örtliche Gemeinschaft zu stärken. Einzubinden sind dabei die Lorsbacher Bürgerinnen und Bürger, die Vereine, der Ortsbeirat Lorsbach sowie u.a. die Hofheimer Lokale Agenda, der ADFC, die Deutsche Bahn AG, Hessen Mobil.”
Die Lorsbacher waren damals nicht zuletzt wegen der einjährigen Vollsperrung der Landstraße L3011 nach Hofheim schwerst gefrustet. Dazu: immer weniger Einkaufsmöglichkeiten. Und das Dauerärgernis Bahnhof. 2019, als er zum Bürgermeister gewählt werden wollte, hatte Christian Vogt verkündet: “Für mich steht fest: Ein barrierefreier Umbau des Bahnhofs in Lorsbach muss erreicht werden.” Der CDU-Mann wurde gewählt – das haben die Lorsbacher davon: Der Bahnhof blieb unangetastet.
Aber ab jetzt – also ab März 2023 – sollte, wie gesagt, alles besser werden: Die Lorsbacher sollten mit einer umfassenden Analyse ihrer Situation und dann umzusetzenden Maßnahmen wieder aufgerichtet werden – “zeitnah”, wie es in dem Beschluss extra hieß. Die Menschen in dem Dörfchen sollten wieder Lebensmut gewinnen und Vertrauen in die Stadtpolitik fassen können.
Es klang nach einem richtig guten Plan.

Genau ein Jahr später, im März 2024, legte der Magistrat tatsächlich erste Ergebnisse vor: Er präsentierte mehrere Karten, in denen die Standorte von Einzelhandel, Arztpraxen und Gastronomie, von Spielplätzen und Friedhof, von Bahnhof, Tankstelle und Fahrradabstellplätzen usw. farbig markiert waren. Das alles kennt zwar jedes Kind in Lorsbach, aber so eine Bestandsaufnahme kann ja durchaus sinnvoll sein. Dazu gab’s einen längeren Text, in dem alles ausführlich beschrieben wurde.
“Ganzheitliche Standortanalyse” hieß das Werk, es klang vielversprechend, bot aber wenig Neues. Ein typisches Zitat aus dem behördlichen Elaborat lautete: “Der schienengleiche Bahnübergang in der Ortsmitte Lorsbachs führt aufgrund von geschlossenen Schranken zu Rückstau auf den Hauptstraßen und zu damit verbundenen Wartezeiten.”
Dann bemängelte die akribische Aktenleserin Barbara Grassel (Linke) auch noch etliche Fehler in der Bestandsaufnahme, woraufhin CDU-Stadtverordnetenvorsteher Andreas Hegeler – er lebt in Diedenbergen – nicht umgehende Nachbesserung verlangte, sondern sich vergrätzt zeigte: “Der Magistrat kann tun, was er will, immer wird alles schlecht geredet“, maulte er.
So funktioniert die Lokalpolitik in Hofheim. Erkenntnis nach dem ersten Jahr: So richtig weitergekommen war man noch nicht.
Lorsbachern entwarfen Ideen. Und nun?
Im September letzten Jahres wurden die Lorsbacher in die Turnhalle des TV Lorsbach eingeladen. Eine “Ideenwerkstatt” war versprochen worden, wohlfeile Worte gab’s obendrein:
„Wir laden die Lorsbacherinnen und Lorsbacher herzlich dazu ein, mit ihren Ideen und Vorschlägen am Beteiligungsprozess zur Weiterentwicklung Lorsbachs mitzuwirken und Lorsbach aktiv mitzugestalten“, sagte CDU-Bürgermeister Christian Vogt.
„Es geht darum, Lorsbach noch besser und attraktiver zu gestalten und ein Meinungsbild einzuholen, wie die Menschen den Stadtteil sehen und erleben“, sagte Erster Stadtrat Daniel Philipp (Grüne).
Was Lokalpolitiker gerne so sagen: Mitwirken! Mitgestalten. Aktiv! Besser! Attraktiver!
Der Magistrat hatte eine Powerpoint-Präsentation mitgebracht, die aussah, als sei sie auf dem letzten Drücker zusammengeschustert worden. Die Anwesenden durften Vorschläge zu acht Themen auf Plakate schreiben, die dann fotografiert und später auf der städtischen Internetseite veröffentlicht wurden.
Dort sind sie bis heute zu finden.

Was damit gemacht wird? Was das Ganze bringen soll? Das steht dort leider nicht.
Das war’s dann wohl, oder?
Eigentlich ja. Halt, nicht ganz:
Wenig später brachte die CDU im Lorsbacher Ortsbeirat einen Antrag ein, der gut zum Thema passte: Die Gaststätte “Nassauer Schweiz” stehe vor der Schließung – die Stadt solle das Gebäude kaufen, damit wenigstens dieses Gasthaus, das letzte in Lorsbach, für die Dorfgemeinschaft erhalten bleibt. Ein Kreisblatt-Redakteur beömmelte sich öffentlich über derlei Ansinnen und tat das gewünschte städtische Invest als “Albtraum” ab, woraufhin ihm der Linke Bernd Hausmann eine Nachhilfestunde in Heimatkunde gab:
In zwei der sechs Hofheimer Stadtteile ist die Stadt bereits Eigentümerin von Grundstücken mit Gastronomiebetrieben (“Altes Rathaus” in Diedenbergen und “Pizzeria Da Rita” in Wallau). In der Kernstadt gehören ihr die Waldgaststätte Meisterturm, das Restaurant in der Stadthalle und die Keglerklause, dazu verpachtet sie die Räumlichkeiten für das “Kokkos” und das “1811” neben der Stadtbücherei. Und eines Tages will die Stadt ja auch noch Hof Ehry an einen Gastronomen verpachten…
So abwegig war die CDU-Idee von einer städtischen Investion in die Lorsbacher Gastronomie also nicht. Vor wenigen Tagen aber ließ der Magistrat die Dorfbewohner endgültig abblitzen. Das Gebäude koste 980.000 Euro, der Sanierungsstau liege bei mindestens einer Million Euro: “Auf Grund der vorliegenden Zahlen (Kaufpreis und Sanierungskosten) stellt sich ein Kauf des Objektes aus Sicht des Dezernenten und der Fachabteilung als nicht wirtschaftlich dar und aus fachlicher Sicht ist von einem Kauf Abstand zu nehmen.”
Dass jetzt der “Nassauer Schweiz”-Besitzer jammert, die Stadt habe mit den veröffentlichten – und seiner Meinung nach falschen – Zahlen potenzielle Inestoren verschreckt und ihn damit ruiniert: Das ist ein anderes Thema. Er sagt auch, wenn er jetzt keinen Käufer mehr finde, werde er das Haus zu einem Flüchtlingsheim umfunktionieren. Den Mann treibt kaum soziales Engagement. Er meint das wohl eher als Drohung.
Willkommen in Lorsbach!
Um die Standortanalyse, die vor genau zwei Jahren vom Stadtparlament beschlossen worden war, ist es ganz still geworden. Offenbar ist der Magistrat keinen Schritt weiter gekommen. Im Rathaus der Kreisstadt braucht man halt immer ein bisschen länger.
Hofem Schlofem eben.
Landrat Michael Cyriax postet bei Facebook: “Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Landes dürfte sich auf einem historischen Tiefpunkt befinden.” Seine Worte könnten, nur leicht abgewandelt, für eine treffende Analyse des Zustands der Hofheimer Stadtspitze herhalten:
“Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Hofheimer Magistrats Landes dürfte sich auf einem historischen Tiefpunkt befinden.”
Schlimmer als im hintersten Vorpommern
Über die Verödung der Dörfer auf dem “flachen Land” wird viel geschrieben. Über die Verödung der Ortschaften im Ballungsraum nicht.
Die Apotheke ist nicht die einzige Infrastruktur, die in Lorsbach nunmehr auch weggebrochen ist. Deren Liste ist lang:
Als wir vor über 40 Jahren nach Lorsbach gezogen sind, da gab es hier “tous commerces”, wie die Kommunen in Frankreich öfters stolz an den Ortseingängen verkünden: Es gab zwei Supermärkte, gut erreichbar in der Ortsmitte (EDEKA und HL), es gab einen Bäcker und einen Metzger, fünf (!) Bankfilialen, ein Hotel und sechs Gaststätten in der Ortslage, eine davon mit einem großen Saal mit Bühne. Übrig geblieben ist von alledem eine einzige Gaststätte, und die steht vor dem Verkauf. Hinzu kam eine kleine Pizzeria.
Doch nicht nur die private Infrastruktur, auch die öffentliche ist auf dem Rückzug: Damals, in den 80ern, stand den 2.500 Lorsbachern ein städtisches Gemeindezentrum mit einer Außenstelle der Stadtverwaltung, einem Postamt und einem kleinen und einem großen Saal zur Verfügung. Auch gab es ausreichend Kindergartenplätze.
Mittlerweile hat Lorsbach 2.900 Einwohner, aber die Kita-Plätze reichen hinten und vorne nicht, es gibt keine öffentlichen Versammlungsräume mehr, und außer einem kleinen Kiosk und einem Backwarenverkauf, einem Tankstellen-Shop und zwei Blumenläden keinerlei Einkaufsmöglichkeiten vor Ort.
Aber einen Trost haben die Lorsbacher: Sie haben zwei Friedhöfe, eine Außenstelle eines Bestatters, einen Steinmetz für Grabmale und die beiden Blumenläden für Grabschmuck.
Das braucht man auch, wenn das örtliche Leben stirbt.
Gestorben wird schliesslich immer…
Apropos Cyriax
Das kreiseigene Hallenbad für Vereine und Schulen wird und wird nicht fertig, kurzum man hört noch nicht einmal einen Zwischenbericht, was es denn vielleicht fertig werden soll. Insofern ist das Austeilen und Blicken nach Berlin eher zweitrangig.
Ob es den Kreistag als Problem interessiert ist mir nicht bekannt.
Man hört davon einfach … nichts.
Dank Hinweis aus dem Kreistag: Im Februar wurde der Bautenstandsbericht 02/2025 vorgetragen. Dem ist zu entnehmen:
Die Erweiterung des Landratsamtes wird nach neuesten Berechnungen 49,5 Millionen Euro kosten (ursprünglich geplant: 33 Mio). Voraussichtliche Fertigstellung: Dezember 2025 (geplant: Ende 2023).
Das Kreishallenbad in Kriftel wird nach den aktuellen Angaben der Kreisbehörde 20,3 Millionen Euro kosten (ursprünglich geplant: 16 Mio). Fertigstellung: angeblich im Oktober dieses Jahres (ursprünglich geplant: 09/2023).