Direkt zum Inhalt

Polizei gesteht: Kriminalstatistiken waren falsch – 5.000 Straftaten fehlten

Posted in Allgemein

Teile diesen Beitrag:


Endlich liegt die Wahrheit auf dem Tisch: Polizei und Politik haben jahrelang falsche Zahlen in der offiziellen Kriminalstatistik veröffentlicht – unter anderem für den Main-Taunus-Kreis und damit auch für Hofheim. Jetzt hat das Polizeipräsidium Westhessen in Wiesbaden ein umfassendes Geständnis abgelegt: Die Zahl der Straftaten wurde in den letzten Jahren zu niedrig angegeben, die Aufklärungsquote dagegen zu hoch. Politiker und Polizeiführung haben sich dafür feiern lassen. Und jetzt?

Ausgewiesene Sportfans erinnern sich bestimmt noch an Sergej Bubka: Der Stabhochspringer war einfach nicht zu schlagen. Hatte er alle Konkurrenten hinter sich gelassen, ließ er die Latte nur einen Zentimeter höher legen, sprang darüber – wieder ein neuer Weltrekord! Auf diese Weise stellte Bubka insgesamt 35 Weltrekorde auf – und kassierte jedesmal dicke Prämien.

Bei der Vorstellung der Kriminalstatistik im Main-Taunus-Kreis lief’s ähnlich ab: Jahr für Jahr verkündeten Landrat Michael Cyriax und der zuständige Kriminaldirektor der Polizeidirektion Hofheim, dass die Polizei mehr Straftaten aufgeklärt habe. Meist waren es nur ein paar Fälle mehr als im Vorjahr, aber es reichte: ein neuer Rekord! Gleichzeitig seien weniger Straftaten registriert worden, hieß es zudem, zwar nur ein paar weniger als im Vorjahr, aber egal: noch’n Rekord! 

Kriminalstatistik2021
Landrat Michael Cyriax und Kriminaldirektor Urban Egert präsentierten 2022 ein dreifaches Rekordjahr bei der Polizei. Inzwischen bestehen Zweifel, dass die Zahlen korrekt waren. Foto: MTK

Im Jahr 2022 ließen sich Landrat Michael Cyriax und Kriminaldirektor Urban Egert für nie dagewesene Superzahlen feiern: Die Zahl der Straftaten sei weiter gesunken, verkündeten sie, die Aufklärungsquote sei so gut “wie noch nie”, und auch die Zahl der statistisch erfassten Straftaten pro 100.000 Einwohner sei “auf das tiefste jemals erreichte Niveau” gesunken.

“Dreifaches Rekordjahr bei der Polizei”, jubilierte das Landratsamt per Pressemitteilung.

Cyriax kassierte viel Lob für eine erfolgreiche Sicherheitspolitik (ein Jahr später wurde er prompt wiedergewählt), Egert ging mit Schulterklopfen in den Ruhestand (Cyriax: “Die erfolgreiche Arbeit der Polizei ist letztlich auch sein Verdienst.”) …

… uns aber beschlich ein leises Misstrauen, wir schrieben: “Im Sport würde man sofort Doping mutmaßen, also die Nutzung unerlaubter Methoden zur Steigerung der Leistung. Hier drängt sich diese Frage auf: Können wir der Statistik, können wir den Zahlen unserer Polizei eigentlich noch Glauben schenken?”

Jetzt steht fest: Unsere Zweifel waren mehr als berechtigt. Die Polizeibehörde hat ein umfassendes Geständnis abgelegt:

Die Kriminalstatistiken der letzten Jahre mit all ihren schönen Rekorden waren offenbar Schmu! Die Zahlen waren falsch.

Im offiziellen Behördendeutsch klingt das so: “In der Vergangenheit wurden vermehrt Fälle festgestellt, bei denen keine PKS-Erfassung erfolgte.” PKS ist die Abkürzung für Polizeiliche Kriminalstatistik:

Es gab demnach über Jahre hinweg “vermehrt” Straftaten, die von der Polizei nicht in die Statistik aufgenommen wurden. Wie konnte das passieren? Die Rede ist von einer Art technischer Fehler. Wörtlich heißt es: “Bedauerlicherweise kam es in den Vorjahren zu einem Stau von – überwiegend ungeklärten – Vorgängen in einer elektronischen Schnittstelle.”

Ein Stau in einer Schnittstelle, und das seit Jahren – und niemand bei der Polizei will es bemerkt haben?

Das sollen wir jetzt so glauben?

Schlechte 24er-Bilanz: Mehr Straftaten, weniger Aufklärung

Im Sport werden Rekorde, die auf nicht korrekte Weise erzielt wurden, sofort annulliert – auch rückwirkend. In der Politik und bei der Polizei macht man weiter wie immer:

Zu Beginn dieser Woche wurde in Wiesbaden die Kriminalstatistik 2024 für das Polizeipräsidium Westhessen vorgestellt. Der Einzugsbereich der Behörde umfasst neben dem Main-Taunus-Kreis die Landeshauptstadt Wiesbaden sowie die Landkreise Hochtaunus, Limburg-Weilburg und Rheingau-Taunus.

Die Eckdaten der Kriminalstatistik sehen diesmal alles andere als gut aus: Während hessenweit die Gesamtkriminalität im letzten Jahr um 2,3 Prozent zurückging, wird für Westhessen ein Anstieg um 0,5 Prozent ausgewiesen.

Und während die Aufklärungsquote hessenweit bei 61,9 Prozent lag, rutschte sie in Westhessen auf 55,4 Prozent ab.

Nach all den Rekord-Meldungen der letzten Jahre ist das ein Einbruch, der dringend nach einer Erklärung verlangt. Sie wurde auch gegeben, in Kurzform lautet sie:

Die Polizei-Zahlen der letzten Jahre waren nicht korrekt.

Wir reden hier übrigens nicht über ein paar Straftaten, die im Computersystem hängen geblieben sind. Es geht um mehr als 5.000 Fälle, die in den letzten Jahren statistisch nicht erfasst worden waren.

Straftaten Kriminalstatistik 2024
Sie stellten die – hoffentlich ehrliche – Kriminalstatistik 2024 vor: Polizeivizepräsidentin Dr. Susanne Stewen (Mitte), Abteilungsdirektorin Stefanie König und der Leiter der Kriminaldirektion Jens Wollmann. (Foto: Polizeipräsidium Westhessen)

Statistiken, die auf falschen Zahlen basieren, gelten gemeinhin als wertlos. Die alten Kriminalstatistiken gehörten demnach in den Schredder. Davon aber will man im Landespolizeipräsidium offenbar nichts wissen:

Die 5.000 Straftaten wurden einfach nachträglich in die Statistik 2024 aufgenommen, die – siehe oben – entsprechend schlecht aussieht, was die Polizei verklausuliert so formuliert: “Hieraus resultiert ein – deliktisch und regional unterschiedlich ausgeprägter – statistischer Anstieg in den Fallzahlen bei gleichzeitigem Rückgang der Aufklärungsquote in diesem Jahr.”

Immerhin zeigt man sich einsichtig und reumütig: “Auch wenn es sich um eine rein statistische Thematik handelt, die keinerlei Auswirkungen auf die Strafverfolgung und somit die tatsächliche Sicherheit im Polizeipräsidium Westhessen hat, bedauern wir diesen Umstand sehr.” So steht es in der aktuellen Kriminalstatistik. Und weiter: Man habe “zahlreiche Maßnahmen ergriffen, damit solche statistischen Verzerrungen in der Zukunft nicht mehr vorkommen”.

Main-Taunus-Kreis: 882 Straftaten wurden unterschlagen

Betrachten wir an dieser Stelle die Zahlen für den Main-Taunus-Kreis etwas genauer – und angesichts der statistischen “Umbuchungen” mit großer Vorsicht: Allein hier im Kreisgebiet waren in den letzten Jahren 882 Straftaten nicht erfasst worden.

Die Statistik 2024 weist für das Kreisgebiet 10.712 Straftaten aus – ein Plus von 3,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 

Gleichzeitig ist die Aufklärungsquote abgerutscht: auf 53,3 Prozent, ein Minus von 6,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 

Unter normalen Umständen, also ohne die nachgemeldeten Fälle, könnte die Polizei für den Main-Taunus-Kreis eine Aufklärungsquote von 56,5 Prozent angeben. Auch das wäre kein Ruhmesblatt: Vor zehn Jahren lag die Aufklärungsquote bei 57,5 Prozent, sie stieg dann von Jahr zu Jahr auf nahezu magische Weise an, bis sie im Triple-Rekord-Jahr 2021 fast 65 Prozent erreichte. 

PPWH Pressepapier 2024
Das Deckblatt der Kriminalstatistik 2024. Ein Klick aufs Bild führt Sie zu den Unterlagen des Polizeipräsidiums Westhessen.

Weitere ausgesuchte Daten aus dem Main-Taunus-Kreis an:

1.186 Fälle von Sachbeschädigung wurden registriert. Aufklärungsquote: 21,1 Prozent (=250 Fälle).

595 Fälle von “Diebstahl an Kraftfahrzeugen” wurden angezeigt. Aufgeklärt werden konnten nur 47 (7,9 Prozent).

Die Rauschgiftkriminalität stieg von 190 in 2023 auf 373 Fälle in 2024.

320 Wohnungseinbrüche wurden angezeigt. Die Aufklärungsquote lag bei 12,2 Prozent: Gerade mal jeder zehnte Einbrecher konnte gefasst werden. 

Es gibt in der Westhessen-Statistik einen deutlichen Ausreißer, der erwartbar war: 1.717 Fälle von Fahrraddiebstahl “unter erschwerten Umständen” (also wenn das Fahrrad abgeschlossen oder fest versperrt war) wurden im Gebiet des Polizeipräsidiums registriert. Diese Zahl steigt seit Jahren kontinuierlich an: 2021 wuden 950 Fälle registriert, 2022 waren es 1.250, 2023 bereits 1.316

Allein im Main-Taunus-Kreis wurden im letzten Jahr 473 Fahrräder geklaut (2023: 336).

Gleichzeitig ist die gemeldete Schadenssumme geradezu explodiert, was angesichts der immer teurer werdenden Fahrräder nicht verwundert: Vor fünf Jahren lag der Schaden bei einer Million Euro, für das letzte Jahr wird er im Bereich Weshessen mit vier Millionen Euro beziffert. Die Polizei schreibt: “Der Fahrraddiebstahl wird häufig dadurch begünstigt, dass auch hochwertige Fahrräder oftmals nur durch unzureichende Sicherungsmaßnahmen, mit kostengünstigen und einfach zu öffnenden Schlössern, gesichert werden.”

Steigen wir noch tiefer in die Niederungen der Statistik, ist zu erkennen: Hofheim ist nach wie vor Spitzenreiter bei der “Kriminalitätsbelastung” im Kreisgebiet: 1.920 Straftaten wurden im letzten Jahr gemeldet. Das sind im Schnitt fünf Straftaten pro Tag.

Bezogen auf 100.000 Einwohner liegt die Kreisstadt allerdings im Mittelfeld. Spitzenreiter bleibt Sulzbach mit fast 7.998 gemeldeten Straftaten, was auf das Main-Taunus-Zentrum und die vielen Ladendiebstähle zurückzuführen ist. Es folgen Eschborn (umgerechnet 6.909 Straftaten pro 100.000 Einwohner) und Flörsheim (4.781). An vierter Stelle im Kreis: Hofheim (4751).

Am sichersten lebt es sich übrigens in Eppstein (2.558) – vor Kelkheim (2.848) und Liederbach (2.876).

Teile diesen Beitrag:

Einen Kommentar

  1. Das Schlimme daran ist: Es wundert einen ja nicht mehr wirklich, als Bürger:innen beschissen zu werden – bewusst oder versehentlich; politisch strategisch, oder einfach nur aus prozessualer Schlamperei.
    Nur falls sich mal jemand wundert, dass einfachere Gemüter Rechtsextreme oder andere Idioten wählen, um es “denen da oben mal zu zeigen”.

    20. März 2025
    |Reply

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Erfahren Sie es zuerst!

Abonnieren Sie den HK-Newsletter! Er ist die perfekte Ergänzung zu dieser Webseite: Sie werden per E-Mail informiert, sobald ein neuer Bericht veröffentlicht wurde – kostenlos und werbefrei!