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„On Demand Fahrservice“: Auf welchen Pakt hat sich Hofheim da eingelassen?

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Das Thema „Fahrservice On Demand“ droht für Hofheim brandheiß und richtig gefährlich zu werden! Auf welchen Pakt hat sich die Stadtspitze da eigentlich eingelassen? Und wieso hat die Mehrheit der Stadtverordneten zugestimmt, ohne Kenntnis aller Fakten und vor allem aller Kosten zu haben? Am Dienstagabend versuchten die Mitglieder des Verkehrsausschusses in bemerkenswerter Gemeinsamkeit, sich den absehbaren Problemen und einer möglichen Lösung zu nähern. Sie scheiterten am Ende, weil die Stadtverwaltung auf ganzer Linie versagte.

Kurz zum Hintergrund: Künftig sollen in Hofheim acht neue E-Busse „on demand“ eingesetzt werden. Die Fahrzeuge sollen „auf Bestellung“ rund 200 Haltestellen im ganzen Stadtgebiet ansteuern.

Es handelt sich um ein Modellprojekt, das mit klima- und verkehrspolitischen Argumenten begründet wird und nicht zuletzt die Stadtteile besser vernetzen soll. Bund und Land steuern Millionen bei, der RMV sorgt für die Umsetzung in mehreren Kommunen – unter anderem auch in Hofheim.

Hier sollte der „On-Demand-Service“ ursprünglich vor einem Jahr starten. Dann wurde von Herbst dieses Jahres gesprochen. Neuerdings ist von Anfang 2022 die Rede. Genaueres weiß man nicht.

Derzeit gibt es das Anruf-Sammel-Taxi (AST), für das die Stadt jährlich rund 350.000 Euro zahlt. Der Plan: AST soll für „On Demand“ weichen. Der günstige Busverkehr wird eingestellt, ein konkretes Datum wurde allerdings bisher noch nicht genannt.

Selbst FDP-Weber nennt die geplanten Fahrpreise „unsozial“

Jetzt kam das Thema im Verkehrsausschuss auf den Tisch: Denn kurz vor dem Projektstart wollte sich die Stadtverwaltung die künftigen Fahrpreise, die On-Demand-Nutzer demnächst zahlen sollen, von den Lokalpolitikern absegnen lassen.

Wenn die Verantwortlichen im Rathaus geglaubt hatten, sie könnten ihre Vorstellungen im Handstreich durchziehen, wurden sie diesmal eines Besseren belehrt. Die Sache wurde zu einem langwierigen Kampf, und der ist auch noch nicht zu Ende.

Auslöser der intensiven Ausschuss-Diskussion: Dr. Barbara Grassel hatte kritisiert, dass selbst RMV-Kunden, die bereits ein Ticket gekauft haben, für eine Weiterfahrt „On Demand“ ganz schön happig zur Kasse gebeten werden (hier). Zudem monierte die Linke: Es gebe zwar einen reduzierten Tarif für Jugendliche, der aber sei für alle gleich, selbst wenn ein Schülerticket vorliege.

Es folgte eine Überraschung: Der gesamte Verkehrsausschuss versammelte sich hinter Frau Grassel. Selbst Ralf Weber, der bislang nicht als Linken-Freund aufgefallen war, war offenbar ins Grübeln geraten: Das Angebot sei zwar prinzipiell gut, befand er, „aber die Tarifstruktur gefällt mir überhaupt nicht“. Weber sagte im Verlauf des Abends sogar, er teile Frau Grassels Meinung voll und ganz: Auch er finde die vorgeschlagenen Fahrpreise „unsozial“.

fahrpreise
So teuer soll Fahren „On Demand“ werden. Die Preise errechnen sich so: 2,15 Euro Grundpreis (entfällt, wenn RMV-Ticket vorliegt – aber nur bei Erwachsenen). 1,50 Euro Komfortzuschlag. Ab 2. Kilometer: 10 Cent je Kilometer.

„On Demand“: Welche Kosten kommen auf Hofheim wirklich zu?

Tobias Undeutsch, dessen SPD bis vor wenigen Monaten nahezu jedem Schritt der Stadtführung wie hörig gefolgt war, wirkte angesichts der Magistratsvorlage richtig zornig: „Ich soll dafür bezahlen, dass ich den Bus benutze, obwohl ich bereits ein Ticket habe? Das geht mir nicht in die Birne rein.“ Ungewohnt scharf attackierte er den anwesenden Vertreter der Stadtverwaltung, den Ersten Beigeordneten Wolfgang Exner: „Herr Exner, wenn das Projekt bereits vor einem Jahr hätte starten sollen: Warum haben wir erst jetzt die Zahlen auf den Tisch?“

In der Tat, das ist eine richtige Frage. Es ist kaum zu glauben, dass ein Millionen-Projekt über Monate hinweg bis in die letzte Verästelung geplant wird – und erst kurz vor der Realisierung ermittelt wird, wie viel Geld die Fahrgäste bezahlen sollen bzw. wie die Einnahmen aussehen. Der Verdacht, dass die teuren Fahrpreise aus Kalkül zurückgehalten wurden, liegt nahe.

Es gibt aber noch weitere Fragen, die im Verkehrsausschuss allenfalls kurz angeschnitten wurden:

Wie errechnet sich der Kilometerpreis, wenn Fahrgäste an verschiedenen Haltestellen in einen On-Demand-Bus einsteigen und sich zu unterschiedlichen Ziele bringen lassen wollen? Die Verwaltung: ahnungslos.

Was ist mit Kinderwagen, Rollator, Rollstuhl – können die in den E-Bussen mitgenommen werden? Die Verwaltung: Ja, vielleicht. Einer der acht bestellten Wagen soll dafür ausgelegt sein.

Und was ist mit Behinderten: Müssten die nicht kostenlos befördert werden? Und wurde das in der Kalkulation berücksichtigt? Die Verwaltung wusste es nicht, will es klären.

Schüler-Fahrpreise: SPD-Mann spricht von „Schweinerei“

Gravierender dann diese Fragen: Wie sehen eigentlich die Kosten aus, die auf die Stadt zukommen? Da liegt bisher nur eine ganz grobe Kalkulation vor: Danach müsste die Stadt 1,6 Millionen Euro zahlen, was bei einer vierjähriger Projektlaufzeit 400.000 Euro pro Jahr bedeutet. Abzüglich der eingesparten AST-Kosten in Höhe von rund 350.000 Euro würden rund 50.000 Euro an Mehrkosten bei der Stadt verbleiben – pro Jahr.

Das Problem: Das sind nur ungefähre Schätzzahlen. Sie setzen die zeitnahe Einstellung des Anruf-Sammel-Taxis voraus. Ziel der Fahrpreis-Gestaltung sei zudem, dass der On-Demand-Service von so vielen Fahrgäste gebucht (und bezahlt) wird, dass jährlich 302.000 Euro eingenommen werden. Diese Zahl ist in der Vorlage der Verwaltung zu lesen. Im Ausschuss wurde nachgehakt: 302.000 Euro an Einnahmen – wie kommt dieser Betrag zustande? Exner zuckte die Schultern: Er wusste es nicht.

Und was passiert, wenn weniger Fahrgäste als erwartet den teuren Fahrdienst buchen? Exner deutete an, dass die Stadt dann den Fehlbetrag wohl werde ausgleichen müssen. Im Klartext: „On Demand“ kann für Hofheim richtig teuer werden!

Und schließlich noch eine Frage, die doch so naheliegend ist und trotzdem bis heute nicht beantwortet wurde: Der Modellversuch endet in 2025 – und dann? Wie geht es danach weiter? Muss die Stadt dann alles zahlen? Werden die Fahrpreise vielleicht noch teurer, die finanzielle Belastung der Stadt noch größer?

Im Verkehrsausschuss wurde um diese Fragen am Ende ein großer Bogen gemacht. Einigen der Lokalpolitikern dürfte langsam klar geworden sein,  dass sie ihre Stadt womöglich geradewegs auf ein tiefes schwarzes Loch zusteuern…

Der Erste Beigeordnete übt sich in Politiker-Bashing

Ein Beschluss wurde trotzdem gefasst, SPD-Mann Rolf Engelhard leitete ihn ein mit den Worten: „Es ist eine Schweinerei, dass Kinder diese Preise zahlen sollen.“ Trotzdem solle man das Projekt deswegen jetzt nicht platzen lassen, sondern starten – aber gleichzeitig auch festlegen, dass nach den ersten sechs Monaten eine Überprüfung stattfindet.

So soll’s kommen. Motto: Augen zu und durch. Zudem soll die Verwaltung ausrechnen – das war ein Vorschlag von CDU-Mann Andreas Hegeler –, wie teuer es wird, wenn man zusätzlich ein On-Demand-Angebot nur für Behinderte zum Bahnhof Lorsbach (der nicht barrierefrei ist) organisiert.

Am heutigen Mittwochabend steht das Thema noch einmal auf der Tagesordnung des Haupt- und Finanzausschusses (ab 19 Uhr, Stadthalle).

Hofheims Erster Beigeordneter Wolfgang Exner zeigte sich am Ende der gestrigen Diskussion im Verkehrsausschuss ziemlich wehleidig ob der Reaktionen der Stadtverordneten. Und er jammerte: „Alle anderen freuen sich über das Projekt. Nur in Hofheim wird es zerredet.“

Solches Bashing ehrenamtlicher Kommunalpolitiker steht einem Verwaltungsbeamten eigentlich nicht zu, schon gar nicht nach einem Auftritt wie dem gestrigen. Zumal sich Hofheims Erster Beigeordneter in einer komfortablen Lage befindet: Wenn am Ende des Projekts, voraussichtlich also 2025, die wahren Zahlen und Kosten auf dem Tisch kommen, und wenn Hofheim dann für „On Demand“ finanziell richtig bluten müsste, weil die Verwaltung bis heute keine genauen Zahlen vorlegen kann:

Dann ist Exner fein raus. Man wird ihn nicht mehr zur Rede stellen können. Er ist dann in Rente. 

Keine Antworten auf offene Fragen –
Finanzausschuss will trotzdem durchstarten

Nachtrag an diesem Mittwochabend, 21 Uhr: Vor einer Stunde hat auch der Haupt- und Finanzausschuss über „On Demand“ gesprochen. Weitgehend unaufgeregt, es war ja alles gesagt: Barbara Grassel (Linke) beklagte nochmals, dass es keine detaillierte Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung gebe. Bis heute habe die Verwaltung – trotz klarer Beschlusslage – keine Vorlage erstellt, aus der eine Kalkulation der Kosten nachvollziehbar hervorgehe.

Der Erste Beigeordnete Exner – er zeigte sich erneut reizbar und genervt – sagte, die Stadt müsse 400.000 Euro im Jahr zahlen, das sei die Vereinbarung. Diese Kosten könne man mit den eingesparten 350.000 Euro verrechnen, die heute das Anruf-Sammel-Taxi (AST) kostet. Er ließ allerdings weiter offen, wann das AST eingestellt werden soll.

FWG-Chef Andreas Nickel sagte, wenn man nach sechs Monaten (wie von der SPD vorgeschlagen) Fahrgastzahlen und Akzeptanz des Fahrpreises überprüfe, könne man ja noch etwas ändern. Exner sagte nichts dazu. Im Verkehrsausschuss hatte er auf einen ähnlichen Hinweis entgegnet, die Fahrpreise zu ändern sei vielleicht möglich – das würde aber zu Lasten der Stadtkasse gehen.

Ergebnis: „On Demand“ wird für die Fahrgäste in Hofheim erst einmal so teuer, wie es der MTV will. Nach sechs Monaten schauen sich die Stadtverordneten die Nutzerzahlen an, wobei unklar ist, ob dann Änderungen bei den Fahrpreisen überhaupt möglich sind. Vorher rechnet die Verwaltung aus, wie teuer ein zusätzlicher On-Demand-Fahrservice für Behinderte zum Bahnhof Lorsbach würde.

Offen blieb an diesem Abend nebst anderen Fragen: Wann startet das Projekt eigentlich genau? Es wird seit über einem Jahr immer wieder angekündigt, aktuell ist von Anfang nächsten Jahres die Rede. Corona taugt als Erklärung nicht mehr, jetzt werden nicht gelieferte Chips an die Autoindustrie genannt.

Und was passiert, wenn der mit erheblichen Zuschüssen ausgestattete Modellversuch Ende 2024 ausläuft? Soll On Demand ab 2025 weiter angeboten werden? Bleibt die Stadt dann auf den ganzen Kosten sitzen? Normalerweise klärt man solche Fragen im Vorfeld, hier ist das offenbar bis heute nicht geschehen.

Der nächste Step: Am Mittwoch, 3. November, soll die Vollversammlung der Stadtverordneten ihr „Go“ geben (ab 18 Uhr, Stadthalle).

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