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Der Stadtwald, das Gütesiegel und das Pippi-Langstrumpf-Prinzip

Gepostet in Allgemein

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Kein Sterbenswörtchen hatte nach draußen dringen sollen: Anfang dieses Jahres war dem Hofheimer Stadtwald das begehrte FSC-Zertifikat aberkannt worden. Neun Monate lang wurde diese Nachricht in der Chefabteilung der Stadtverwaltung unter Verschluss gehalten. Letzte Woche dann beendete der Hofheim/Kriftel-Newsletter die behördliche Geheimnistuerei, und das hatte prompt Folgen: Im Rathaus bewegte man sich, auch FSC Deutschland reagierte schnell – jetzt soll das Gütesiegel wieder ausgestellt werden. Das klingt erst einmal gut, aber es zeigt sich auch: Ein zunehmend großes Ärgernis droht den Hofheimern zu bleiben.

Es sind 38 DIN-A4-Seiten voll Text und mit vielen Tabellen, oben drüber steht in Großbuchstaben „Audit-Bericht“. Das Werk wurde von der GFA Certification GmbH (Sitz: Hamburg) nach einer umfangreichen Überprüfung des Hofheimer Stadtwaldes verfasst, es liegt dem Hofheim/Kriftel-Newsletter vor.

Gütesiegel
Der Prüfbericht, mit dem der Stadtwald das FSC-Gütesiegel verlor: Er kann mit einem Klick aufs Bild heruntergeladen werden.

Es geht darin um die Frage, ob der Stadtwald erneut mit dem FSC-Gütesiegel ausgezeichnet werden könnte. Der Prüfbericht wurde am 1. März dieses Jahres verfasst, der entscheidende Satz findet sich Seite 36:

„Ein Zertifikat kann nur dann erteilt werden, wenn alle oben aufgeführten Major CARs durch die Umsetzung der erforderlichen Korrekturmaßnahmen geschlossen worden sind.“

Im Klartext: Das gefragte FSC-Gütesiegel wurde Hofheim aberkannt. Mit „Major CARs“ werden gravierende Verstöße gegen die FSC-Richtlinien bezeichnet, und davon waren gleich mehrere im Stadtwald festgestellt worden. Erst jetzt, auf dem letzten Drücker, konnten die Mängel – zumindest weitgehend – ausgeräumt werden:

Zu Beginn dieser Woche sind sechs weitere Blatt Papier zum Prüfbericht dazugekommen. Auf der ersten Seite steht in Fettschrift „Anhang zum Auditbericht“, auf der letzten Seite findet sich der entscheidende Satz, ganz kurz und bündig:

„Ein Zertifikat kann erteilt werden.

Der Stadtwald wird das FSC-Gütesiegel also endlich wiederbekommen.

Es ist der vorläufige Schlussstrich unter einem Kapitel Stadtgeschichte, bei dem sich die Rathaus-Chefetage nicht mit Ruhm bekleckert hat: Denn da ist nicht nur der monatelange Verlust des Gütesiegels, da ist vor allem die katastrophale Kommunikationspolitik. Den Bürgern von Hofheim wurden wieder einmal vorsätzlich Informationen vorenthalten, die sie unmittelbar betreffen.

Passiert so etwas versehentlich? Oder steckt System dahinter?

Leuchten wir das düstere Treiben etwas besser aus…

Gravierende Verstöße = kein FSC-Zertifikat

Kurz zum Hintergrund: FSC steht für „Forest Stewardship Council“ und ist ein internationales Zertifizierungssystem für nachhaltigere Waldwirtschaft. Wälder, die das Gütesiegel bekommen wollen, müssen nach strengen ökologischen und sozialen Regeln bewirtschaftet werden. Sie müssen zehn weltweit gültige „Prinzipien“ einhalten, was auch alljährlich kontrolliert wird.

20220909 FSC Logo
Das FSC-Logo, mit dem sich Produkte aus FSC-zertifiziertem Holz schmücken dürfen.

Wer gegen die FSC-Prinzipien verstößt, kann das Zertifikat verlieren. Und das kann schnell teuer werden: Denn Holz aus einem FSC-zertifizierten Wald ist wertvoller als Holz ohne Gütesiegel.

Bis heute verweigert Hofheims Stadtverwaltung die Auskunft darüber, was Anfang 2021 zum Verlust des FSC-Zertifikats geführt hat. Jetzt braucht die Behörde nichts mehr preiszugeben, alle Informationen liegen uns vor. Der Audit-Bericht nennt Verstöße gegen gleich sechs der zehn FSC-Prinzipien:

FSC-Zertifikat
Der Nachtrag zum Prüfbericht kann mit einem Klick heruntergeladen werden.

So gab es zwei kleinere Mängel („Minor CARs“) in den Bereichen „Arbeitnehmerrechte und Arbeitsbedingungen“ sowie „Umsetzung von Bewirtschaftungsmaßnahmen“. Das wäre vielleicht noch hinnehmbar gewesen…

Doch in vier weiteren Bereichen („Leistungen des Waldes“, „Auswirkungen auf die Umwelt“, „Management“ und „Monitoring und Bewertung“) wurden schwerwiegende Abweichungen von den FSC-Prinzipien registriert. In einem solch gravierenden Fall wird nicht lange gefackelt:

Die „Major CARs“ müssen beseitigt werden, vorher gibt’s es kein Zertifikat. Auf Seite 36 des Audit-Berichts ist die Entscheidung zum Hofheimer Stadtwald nachzulesen: „Ein Zertifikat kann nur dann erteilt werden, wenn alle oben aufgeführten Major CARs durch die Umsetzung der erforderlichen Korrekturmaßnahmen geschlossen worden sind.“

Man hätte die erforderlichen Korrekturmaßnahmen natürlich zügig umsetzen können. Aber Hofheims Stadtverwaltung wird nicht zufällig „Hofem Schlofem“ genannt: Die Beseitigung der Mängel zog sich hin. Warum sollte man sich auch beeilen? Es wusste ja niemand irgendetwas…

Erst als der Hofheim/Kriftel-Newsletter bei FSC Deutschland nachgefragt und eine Reihe von Fragen auch an das Hofheimer Rathaus geschickt hatte, dräute den Verantwortlichen, dass der Gütesiegel-Verlust publik werden könnte. Im Rathaus begann ein hektisches Treiben

Es war dann Ende vergangener Woche, einen Tag nach Erscheinen des Berichts im Hofheim/Kriftel-Newsletter, als in Hamburg der FSC-Prüfer einen „Anhang zum Auditbericht“ verfasste. Unter dem Datum vom 30. September nahm er eine „Aktualisierung zum Status der Korrekturmaßnahmen“ vor, auf der letzten Seite machte er ein kleines Kreuzchen:

Das Zertifikat Nummer GFA-FM/COC-002822 könne der Stadt erteilt werden.

Kommunikationsschwäche im Rathaus ist chronisch

Ist damit das Problem gelöst? Allenfalls vordergründig. Denn der Verlust des FSC-Gütesiegels wirft ein Schlaglicht auf ein wachsendes Ärgernis in Hofheims Stadtpolitik: Die Rathausspitze krankt an einer nahezu chronischen Kommunikationsschwäche.

Das konspirativ anmutende Vorgehen in Sachen Stadtwald ist beileibe kein Einzelfall: Der Stadtverwaltung musste bereits wiederholt ein ernsthaftes Problem mit Offenheit und Transparenz attestiert werden. Die Ursachen der krankhaften Entwicklung sind deutlich erkennbar:

CDU-Bürgermeister Christian Vogt will das eigene Werken und Wirken ausschließlich positiv herausgestellt sehen. Wenn Versäumnisse und Fehler in seine Behörde angesprochen werden, gehen alle Schotten runter: Informationen, die nur ansatzweise das Saubermann-Image beflecken könnten, werden verdrängt und verschwiegen.

In der freien Wirtschaft spricht man vom Pippi-Langstrumpf-Prinzip, kurz PLP, wenn ein Entscheidungsträger erkennbare Tatsachen wie auch Kundenbedürfnisse – hier: Bürgerinteressen – sträflich missachtet. PLP gilt als ein psychologisches Phänomen, das Pippi in ihrem Lied gut auf den Punkt bringt:

„Zwei mal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune, ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt.“

So läuft das inzwischen auch in Hofheim ab, immer öfter, auch im aktuellen Fall. Die Lokalzeitungen durften unlängst wohlwollende Porträts über die Abteilungsleiter der Stadtverwaltung veröffentlichen: Großes Bravo – solcher „Journalismus“ wird im Rathaus goutiert. Zum Verlust des FSC-Zertifikats hingegen findet sich in den Blättern kein Wort. Es muss vermutet werden, dass die Information den Redaktionen gezielt vorenthalten wurde.

Auch die Stadtverordneten werden von der Rathaus-Führung nach Belieben informiert – oder eben nicht. Die allermeisten nehmen das klaglos hin. Nur die Linken mucken immer wieder auf. Im Juni dieses Jahres verlangte die kleine Fraktion Auskunft darüber, was mit der FSCZertifizierung sei.

Der Magistrat, das schreibt die Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung vor, soll solche Anfragen innerhalb von vier bis sechs Wochen beantworten. In diesem Fall liegt die Anfrage seit mehr als vier Monaten im Rathaus – unbeantwortet, bis heute.

Aber was interessieren die Rechte der Stadtverordneten im Rathaus? Hier hat man sich ganz eigene Spielregeln gegeben: „Ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt“

Und dann noch ein dreistes Täuschungsmanöver…

Es war am Dienstag dieser Woche: In Hofheims Stadtverwaltung wurde beschlossen, dass man uns die überfälligen Antworten auf unsere Fragen zum Stadtwald doch noch zukommen lassen wolle. Und so teilte Rathaussprecher Jonathan Vorrrath per E-Mail mit: Die Stadt habe die Beanstandungen im FSC-Audit-Bericht beseitigt, und man habe auch „eine Nachricht des Zertifizierers über die zeitnahe Wiedererlangung des neuen Zertifikats erhalten“.

Das war uns inzwischen bekannt. Neu und überraschend war in Vorraths E-Mail die Erklärung, warum der Stadtwald das Gütesiegel nicht bekommen habe. :

„Eine Folge des durch Corona ausgefallenen Audits im Vorjahr war eine zeitweise Aussetzung der FSC-Zertifizierung.“

Na klar: Corona war’s! Darauf muss man erst einmal kommen! Man hört sie singen auf der Rathaus-Chefetage: „Ich mach mir die Welt widewide wie sie mir gefällt.“

Die „Minor CARs“ und die „Major CARs“, die kleinen und die gravierenden Verstöße gegen die FSC-Prinzipien: Sie wurden in der E-Mail des Rathauses mit keinem Wort erwähnt. So muss die städtische Antwort als dreister Versuch gewertet werden, die Öffentlichkeit zu täuschen.

Dumm gelaufen diesmal: Im Rathaus wusste man nicht, dass uns der Audit-Bericht und damit die Wahrheit zum Verlust des FSC-Gütesiegels inzwischen bekannt war…

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3 Kommentare

  1. Anita Vogt

    Es ist eine gute Nachricht, das FSC-Siegel wieder zu haben. Zudem wird gerade das Forsteinrichtungswerk erstellt. In ihm wird festgehalten, wie in den nächsten 10 Jahren der Wald beförstert werden soll. Jetzt kommt es darauf an, aus der Vergangenheit zu lernen. Wald liefert uns Erholung, Sauerstoff, sorgt für Grundwasser in Trinkwasserqualität, speichert CO2 und ist obendrein ökologisch wertvoll (Biodiversität). Zudem versorgt er uns mit Holz. Gründe genug, um mit ihm behutsam umzugehen.

    Der Lübecker Wald macht es uns vor, wie mit und nicht gegen die Natur gearbeitet werden kann. Sie sagen dort, dass der Wald ihre Eingriffe nicht merken soll. Sie setzen auf einen Dauerwald, lassen die Bäume älter werden. Selbstverjüngung wird dort durch ein gutes Jagdkonzept ermöglicht. Die Bäume werden einzeln und nicht im sogenannten Femelhieb aus dem Wald genommen. Heimische Baumarten werden bevorzugt. Schwere Maschinen kaum bis gar nicht eingesetzt, da sie die empfindlichen Waldböden dauerhaft kaputt machen. Dieser Vorzeigewald wird wissenschaftlich begleitet, zählt zu den am meisten untersuchten Wäldern Deutschlands und hat das Naturlandsiegel. Mit diesem besten Siegel für eine Waldbewirtschaftung wurde nur noch der Göttinger Wald und der Wiesbadener Stadtwald ausgezeichnet.

    Auch wenn es im Moment mit dem FSC-Siegel hakte, könnte ich mir vorstellen, dass Hofheim als Vorreiter für eine besondere Waldbewirtschaftung geeignet ist. So war Hofheim bei den Ersten, die das FSC-Siegel erhielten (2005-2010). Warum nicht noch einen Schritt weitergehen? Wir haben zwei junge und engagierte Förster im Wald und in der Verwaltung. Mit einer mutigen Entscheidung der politischen Entscheidungsträger ließe sich sicher eine noch weiter verbesserte Waldbewirtschaftung umsetzen. Man muss auch nicht gleich das hochwertigere Siegel beantragen. Es wäre toll, wenn zumindest weitgehend nach diesen höchsten ökologischen Standards der Wald bewirtschaftet und das neue Forsteinrichtungswerk danach ausgelegt wird.

    Übrigens zahlt sich diese Art der Beförsterung für die Stadt Lübeck auch ökonomisch aus.

    Anita Vogt, Ortbeirat Kernstadt / DieLinke

    6. Oktober 2022
    |Antworten
  2. Anita Vogt

    Ich möchte meinen Kommentar noch ergänzen.

    Habe heute nochmal auf der Naturlandseite nachgeschaut (https://www.naturland.de/de/naturland/wofuer-wir-stehen/oeko-wald.html) und mit Freude festgestellt, dass es mittlerweile 19(!) Kommunen sind, die nach diesen strengen ökologischen Richtlinien förstern und das Naturlandsiegel haben. Darunter sind Städte wie München, Berlin, Hannover, aber auch kleinere wie Üelzen usw.

    7. Oktober 2022
    |Antworten
  3. Eberhard Schmidt

    Das, was Frau Vogt beschreibt ist zu schön um in Hofheim wahr zu werden. Jedenfalls nicht mit der jetzigen Rathausbesatzung. Das Beispiel „Heinrichsweg“ steht doch beispielhaft dafür:

    Wo bleibt denn die nötige Sensibilität für den Erhalt von Bäumen? Vor einigen Tagen wurden am Heinrichsweg, dem Waldweg zwischen Hofheim und Lorsbach, beiderseits eine Vielzahl Bäume gefällt. Zum Teil sehr große gesunde Bäume, auch einige Meter vom Wegrand entfernt. Der in diesem heißen Sommer so wohltuend schattige kühle Weg wurde dadurch in weiten Bereichen zur offenen Schneise. In der Ankündigung dieser Maßnahme hieß es aber, dass darauf geachtet wird, nur im unbedingt nötigen Umfang Bäume zu fällen. Leider sieht das Bild, dass sich jetzt bietet ganz anders aus. Ich frage mich, ob dieser massive Eingriff für ein Provisorium derart nötig war – der Weg wird schließlich nur für die Zeit der Vollsperrung der L 3011 für Rettungsfahrzeuge und Feuerwehr befahrbar gemacht. Und falls doch noch eine vernünftige „L 3011-Lösung“ gefunden wird, war der Kahlschlag auch noch unnötig. Leider bleibt wieder einmal der Eindruck, dass es wie so oft in Hofheim an der nötigen Sensibilität für den Erhalt von Bäumen fehlt.

    9. Oktober 2022
    |Antworten

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