Direkt zum Inhalt

Hofheim macht’s möglich: Schmausen unter den Namen der ermordeten Juden

Posted in Allgemein

Teile diesen Beitrag:

Ein großer Fauxpas ist Hofheims Stadtverwaltung passiert, er ist in die Kategorie unverständlich, vielleicht sogar unverzeihlich einzuordnen: Mit freundlicher Genehmigung des Ordnungsamtes durften Restaurantplätze unter einer Gedenktafel am Tivertonplatz eingerichtet werden. Seither heißt es: Schmausen unter den Namen der ermordeten Juden – Hofheim machte’s möglich! Offen bleibt, ob behördliches Versehen vorliegt oder doch Vorsatz. Es gibt ein weiteres Anzeichen, dass man in der Kreisstadt die Erinnerung an die unsägliche NS-Vergangenheit dem Vergessen anheimzugeben versucht.

Erika Krause hat sich beim Hofheim/Kriftel-Newsletter gemeldet. Die frühere Sozialarbeiterin lebt in der Kernstadt und schlägt vor, eine Serie „Romantische Orte in Hofheim“ zu veröffentlichen. Eine erste Folge habe sie bereits verfasst und könne sie anbieten…

Schöne Idee! Romantische Orte in Hofheim – das klingt doch gut! Schauen wir uns gleich mal an, was Frau Krause dazu geschrieben hat…

Beim Lesen wird schnell klar, dass ihr Vorschlag zutiefst sarkastisch gemeint ist. Hier der Text im Wortlaut:

„Mein augenblicklicher Lieblingsort ist ein Tisch am Türmchen. Der Tisch unter der Gedenktafel für getötete Hofheimer Juden hat es mir besonders angetan. 

Schön, dass die Betreiber des Türmchens nicht mehr ihr Leergut in die Nische stellen, sondern Paaren die Möglichkeit geben, einen geschützten, romantischen Abend mit einem wundervollen Blick auf Fachwerkhäuser zu erleben.

In weiser Voraussicht hat die Stadt ein Material für die Gedenktafel gewählt, das im Alterungsprozess die Namen der Getöteten nicht mehr erkennbar macht und somit dem Genuss nicht schmälert.

Einzig der seit Jahren vor sich hin trocknende Kranz stört etwas. Vielleicht kann die Stadt da ja einen niedlichen Kunstblumenstrauß anbringen (gibt es bei Woolworth billig). Dann besteht auch nicht die Gefahr, dass etwas ins Essen bröselt.“

Zerstörte Synagoge wurde Weinstübchen

Zum allseitigen Verständnis vorab ein paar Informationen zu Gebäude und Gedenktafel

Die Häuserreihe am Burggraben gehört zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Kreisstadt. „Prägender Teil der Fachwerkhäuserzeile, die auf den Fundamentresten der ehemaligen Stadtmauer errichtet wurde, ist der übrig gebliebene Rundturm der nach 1352 errichteten Stadtbefestigung“, lesen wir auf einer städtischen Webseite.

Den Rundturm hatte die jüdische Cultusgemeinde Hofheim vor rund 200 Jahren erworben, sie richtete dort ihre Synagoge ein. Diese wurde bei den Novemberpogromen 1938 vom nationalsozialistischen Mob zerstört. Der Davidstern auf der Spitze des Turms wurde durch ein Hakenkreuz ersetzt.

Juden
Das Burggässchen im Jahre 1931. Im Hintergrund die Synagoge mit dem Davidstern auf der Dachspitze. (Foto: Josef Nix / Stadtarchiv Hofheim)

Die Cultusgemeinde musste wenig später das Gebäude unentgeltlich der Stadt übertragen. Der Turm überlebte den Krieg; in den 1960er Jahren nutzte ein Jugendclub die Räume, nach der Renovierung 1983 wurde dort eine Weinstube eingerichtet: „Zum Türmchen”.

Am 9. November 2018 – die Novemberpogrome jährten sich zum 80. Mal – enthüllte Hofheims damalige SPD-Bürgermeisterin Gisela Stang eine Gedenktafel. Damit wolle man an die Mitbürger jüdischen Glaubens erinnern, „die ihre Heimat und ihr Leben verloren haben“, sagte sie. Und weiter: „Wir alle müssen aus der Vergangenheit lernen, dürfen nicht vergessen, damit sich Geschichte nicht wiederholt.“

Allzu laut sollte die Erinnerung in Hofheim aber wohl nicht hallen. Die Gedenktafel wurde möglichst unaufällig aufgehängt, an der Fassade des Turms, aber zum meist wenig besuchten zum Tivertonplatz hin.

Wg. Corona: Sondergenehmigung für Gastronomie

Fünf Jahre später: Das Nicht-vergessen-dürfen scheint vergessen. Ein Kranz aus einstigem Grünzeug sieht aus, als sei er zu Stangs Zeiten aufgehängt. Tisch und Stühle versperren den Zugang zur Gedenktafel. Das Restaurant „Türmchen“, das normalerweise nur am Untertorplatz Gäste bedient, hat sich ausgebreitet. Lecker schmausen direkt unter den Namen der ermordeten Juden: Hofheim macht’s möglich, mitten in der Altstadt, auf dem Tivertonplatz.

Und da ist niemand, der protestiert? Keiner, der einschreitet?

Wir haben im Rathaus nach Antworten und Erklärungen gesucht. Wir haben ausdrücklich um eine Stellungnahme von Christian Vogt gebeten. Der CDU-Bürgermeister, der sich gerne allgegenwärtig gibt und sich zu Jedem und Allem äußert: Er will plötzlich nichts sagen. Statt seiner antwortet die Rathaus-Pressestelle:

Ja, der Tivertonplatz sei eine städtische Fläche. Und ja, die Stadt habe die Genehmigung erteilt, dort Tische und Stühle aufzustellen: „Während der Pandemie war die Sondernutzung öffentlicher Flächen großzügiger gestattet worden, um die Gastronomie zu unterstützen.“

Tuermchen 2
Das Türmchen am Tivertonplatz. Seit der Pandemie dürfen hier Tische und Stühle stehen – auch unter der Gedenktafel auf dem Mauerwerk aus Bruchstein.

Für das „Türmchen“ war die „Sondernutzungserlaubnis“ für den Tivertonplatz verlängert worden, zuletzt am 27. Juni dieses Jahres, sie gilt bis Ende Oktober.

Frage an die Stadtverwaltung: Warum die Verlängerung, wenn die Pandemie doch längst vorbei ist?

Rathaus-Antwort: Es sei „eine Übergangsphase für den Rückbau und die Umorganisation des Betriebs auf die vor der Pandemie genehmigten Flächen“ eingeräumt werden.

Das „Türmchen“ hat ein paar Tische und Stühle auf dem Tivertonplatz verteilt: Dass der Umbau und die Umorganisation Wochen oder sogar Monate dauern soll, glaubt auch nur eine Behörde

Patina aus Rost verdeckt Erinnerung an ermordete Juden

Auf die viel drängendere Frage, warum Tische und Stühle direkt unterhalb der Gedenktafel für die ermordeten Juden stehen dürfen, antwortet das Rathaus erst einmal: gar nicht. Stattdessen schickt der Behördensprecher eine Abhandlung zur Beschaffenheit der Gedenktafel:

„Die Gedenktafel hat eine Abmessung von 1,00 x 1,50 Metern und ist auf dem Bruchsteinmauerwerk des Turmes angebracht. Die Tafel ist nach Beratung durch eine Fachfirma aus Cortenstahl gefertigt, in den die Namen eingraviert sind. Cortenstahl ist laut der Fachfirma ein wetterfester Baustahl, welcher nach einigen Wochen eine Patina bildet.“

Es folgt ein Auszug aus der Fachliteratur („Cortenstahl ist ein Stahl mit rostiger Oberfläche (…) schön anzusehen und praktisch unverwüstlich“), den wir uns hier ersparen wollen.

Tuermchen 3
Hofheims Gedenktafel an die ermordeten Juden. Die Namen sind kaum noch zu lesen. Der vertrocknete Kranz stammt wohl noch aus Zeiten von Bürgermeisterin Gisela Stang.

Die behördlichen Ausführungen klingen, als sei beabsichtigt, die eingravierten Namen verwittern zu lassen. Soll die Erinnerung an die ermordeten  Juden wirklich unter einer Patina aus rotbraunem Rost verschwinden, auf dass wir vor einer unlesbar gewordenen Gedenktafel ungestört schmausen können?

Die Rathaus-Pressestelle schreibt sogar, dass das Gedenken an die ehemaligen jüdischen Bewohner Hofheims durch die Wahl des Material „ideal für nachfolgende Generationen sichergestellt“ werde. Angesichts des Umstands, dass die Namen schon heute kaum zu lesen sind, klingt das wie eine Verhöhnung.

Es folgt ein Satz, der Einsicht verraten könnte: Man danke für den Hinweis, lässt uns die Rathaus-Pressestelle wissen, und man werde „prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, Cortenstahl dahingehend zu behandeln, dass eine bessere Lesbarkeit erreicht werden kann“.

„Prüfen“ bedeutet im Verwaltungsjargon: Abwarten. Zeit gewinnen. Die Entscheidung hinauszögern.

Ehrliche Einsicht klingt anders.

Bald wieder wohlfeile Politiker-Worte gegen das Vergessen

Leckere Pfannkuchen, eine Spezialität des „Türmchens“, sollen demnach wohl weiterhin unter der Gedenktafel serviert werden dürfen, oder? Eines Tages, wenn die Stadtverwaltung den Cortenstahl hat blank putzen lassen, sollen wir bei einem guten Essen und einem Gläschen Wein die Namen der Ermordeten in aller Deutlichkeit lesen können…

Erst im zweiten Anlauf, nach einer erneute Anfrage, erwacht man im Rathaus. Und der Sprecher teilt mit:

Die Fläche unterhalb der Gedenktafel sei „nicht ausdrücklich in die Genehmigung eingeschlossen“ gewesen. Jetzt solle nachgebessert werden: „Seitens der Ordnungsbehörde“, so formuliert es die Rathaus-Pressestelle, werde es „einen Hinweis an den Gastronomen geben”, dass der Bereich „von Bestuhlung freizuhalten ist“.

Das wird aberb auch allerhöchste Zeit:

CDU-Bürgermeister Christian Vogt wird schließlich demnächst vor der Gedenktafel wieder eine Rede halten wollen. Am 9. November jährt sich die Reichspogromnacht, dann zum 85. Mal.

Dann ist wieder die Stunde der wohlfeilen Worte. Er wird uns Bürger gemahnen:

Das Geschehene darf nie, niemals vergessen werden.

+ + + + +

Was sagt eigentlich der „Türmchen“-Gastronom zu den Vorwürfen des respektlosen Umgangs mit der Gedenktafel?

Sander Prins, der mit seinem Vater das Gebäude von der Stadt gepachtet hat („seit über 30 Jahren sind wird hier“) bestätigt: Wegen Corona habe ihm die Stadt erlaubt, seine Außengastronomie auf den Tivertonplatz auszudehnen

Ansonsten zeigt er wenig Verständnis für die Kritik: Jedes Jahr finde am Tag der Novemberpogrome eine Gedenkstunde statt, „da wird doch alles schön geschmückt“. Auch sonst habe er alles aufgeräumt und ordentlich gemacht… Er verstehe gar nicht, was einige Leute hätten, „es gibt so viele andere Themen, über die man sich beschweren könnte.“

Einen Tisch habe er bereits weggenommen („ich brauchte ihn sowieso vorn“), man könne doch jetzt „wieder ordentlich an die Gedenktafel ran“. Und außerdem werde auf dem Tivertonplatz kaum noch bedient, weil jetzt der Sommer zu Ende geht.

Teile diesen Beitrag:

10 Comments

  1. Hans Mankel

    Sommerloch!! Gebe Herrn Prins völlig Recht.

    18. August 2023
    |Reply
    • Peter Braun

      Ich denke, das geht Beides! Einen Wein oder halt auch einen Pfannkuchen vor bzw. unter der/einer Gedenktafel. Ich bin sicher viele oder halt auch nur einige Gäste haben versucht die Inschriften und Inhalte dieser Tafel zu entziffern. Zeit genug beim Wein (oder Pfannkuchen) bleibt ja. Und wiederum einigen oder wenigen ist bestimmt oder hoffentlich ein „Nie wieder!“ dabei durch den Kopf gewandert. Das ist genau dass, was diese (und andere) Tafeln bezwecken, oder?

      18. August 2023
      |Reply
  2. Martin Haindl

    nein, nicht „Sommerloch“ – wir wollen keine Erinnerungswende um 180° – die Aufrechterhaltung einer gewissen Sensibilität, gerade heute, wo die Rechten wieder verstärkt Zulauf bekommen, ist ganz besonders wichtig !!
    Danke für diesen Denkanstoss und Initiative von Erika Krause

    18. August 2023
    |Reply
    • Harald Scholtz

      Ich finde es vollkommen würdelos unter bzw. vor der Gedenktafel Tische aufzubauen. Der Zugang zu der Gedenktafel sollte frei bleiben und damit jederzeit zugänglich. Es gibt genug Platz drumherum um dem Gastwirt Möglichkeiten zu schaffen. Aber noch würdeloser ist der Zustand der Tafel. Hierfür sollte sich die Stadtverwaltung schämen.

      18. August 2023
      |Reply
  3. DererVonZiethen

    Ich denke, daß das an sich gar kein erwähnenswertes Thema ist. Sondern es könnte für manche Eltern die Gelegenheit sein, ihrem jugendlichen Nachwuchs aus der Zeit 1933 bis 1945 zu erzählen, sie ggf. sogar anhand des Beispiels „Gedenkplatte“ aufzuklären, warum manch eine Partei für Deutschland zu einem Problem werden könnte. Also Lernen in der Gegenwart aus der Vergangenheit…
    Und warum denn nicht dieses „vor Ort“ bei Pfannkuchen und einem Gläschen Wein?
    Denn ja: das Geschehene darf nie, niemals vergessen werden !

    18. August 2023
    |Reply
  4. Elvira Neupert-Eyrich

    Wie kann das „Nicht-Vergessen“ wirklich erreicht werden? Ich habe Freunde, die sich von Beginn an geweigert haben jemals in einem „umfunktionierten Gotteshaus“ zu Essen und zu Trinken. Ich selbst denke immer, wenn ich vor Ort bin, „Geht das eigentlich, dass ich mich hier wohlfühle und gut esse und trinke?“, Aber ich tue es trotzdem. Wenn Joachim Janz von den Menschen erzählt, die hier in Hofheim gelebt haben, wie sie zum Teil vor 33 mit ihren Nachbarn auch gut zusammen gelebt haben und dann erlebten wie alle sich abwandten ist das für mich viel deutlicher gegen das Vergessen, wie das Lesen der Namen. Das sind dann auch noch mal andere Orte und Häuser in Hofheim, die mit diesen Menschen verbunden werden. Für Oppenheimers gibt es Stolpersteine in der Burgstraße 6, aber wer redet und erinnert an sie, außer Joachim Janz am 9. November oder manchmal im privaten Gespräch?
    Ich denke, die Gedenktafel ist wichtig, sie sollte auch lesbar sein und wir sollten die Geschichten dazu erzählen immer wieder, auch um zu sehen, wie schnell aus Freunden Feinde werden, wenn wir nicht darauf achten mit allen Menschen respektvoll umzugehen. Gerade jetzt, wo schnell für alles Schuldige gefunden werden, wenn ich mich in meiner Haut nicht wohl fühle und glaube, es würde besser, wenn andere weg wären oder das täten was ich will, statt darauf zu achten, was wirklich das ist, was ich tun kann, wie ich auf andere zugehen kann usw…, aber das ist eine andere Geschichte, sie passt nur zu der, die jetzt gerade erzählt wird.

    18. August 2023
    |Reply
  5. Hans-Joachim Busch

    Die Erinnerungstafel muss sofort vollkommen frei von Gastronomie stehen. Der Wirt sollte sich für diese Geschmacklosigkeit entschuldigen. Und die Stadtverwaltung weiß offenbar nicht, was in der Stadt, einige Meter vom Rathaus entfernt, los ist. Auch der Bürgermeister müsste sich entschuldigen. Man schämt sich als Deutscher und Hofheimer über solche Schlafmützigkeit und moralische Schwäche.

    Hans-Joachim Busch

    21. August 2023
    |Reply
  6. Ulrike

    Sollten wir nicht mal die Kirche im Dorf belassen? Dieses unsägliche ‚Empörungsgehabe‘ muß mal ein Ende haben.

    26. August 2023
    |Reply
  7. Christian

    Diejenigen, die sich schützend vor die toten Juden stellen, tun dies hoffentlich umso stärker für die lebenden Juden. Daran darf man allerdings Zweifel haben, und dann sind diese Empörungsreflexe, die auch hier aufscheinen, pure Heuchelei; „unverzeihlich“, um den Autor zu zitieren. Die Zahl der Kritiker, der Hasser und der erklärten Todfeinde der lebenden Juden dürfte in den letzten Jahren auch in Hofheim gestiegen sein. Gedenktafeln haben das nicht verhindert, und diejenigen, die sich über Tische davor empören, auch nicht. Warum eigentlich nicht, wenn die Juden am Herzen liegen? Nur die toten?

    6. September 2023
    |Reply
  8. Christian

    5 Wochen und 1.300 tote Juden später habe ich mich an diesen Bericht und die Kommentare erinnert. Jetzt wäre auch ein guter Zeitpunkt der Toten zu gedenken und sich – vor allem! – für die lebenden Juden zu interessieren und ihnen Solidarität zu zeigen. Jetzt, und nicht erst wieder in weiteren 5 Wochen, am 09.11. Auch in Hofheim, auch in diesem Blog, in dem sich ja offensichtlich für jüdisches Leben und Sterben interessiert wird, fände ich das sehr angemessen.

    14. Oktober 2023
    |Reply

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Erfahren Sie es zuerst!

Abonnieren Sie den HK-Newsletter! Er ist die perfekte Ergänzung zu dieser Webseite: Sie werden per E-Mail informiert, sobald ein neuer Bericht veröffentlicht wurde – kostenlos und werbefrei!