Es gibt neue Nachrichten aus dem Klinik-Konzern Varisano, sie kommen zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt: Nach Meldungen über Management-Problemen, Millionen-Defizit und drohender Pleite muss das Krankenhaus Hofheim auch noch den Verlust von ausgewiesener medizinischer Kompetenz verkraften: Ein hochangesehener Chefarzt hört auf. Das wiederum könnte für das ganze Krankenhaus – und damit für die Gesundheitsversorgung aller Bürger in der Kreisstadt – weitreichende Folgen haben.
Die Stellenanzeige des Varisano-Konzerns erschien vor wenigen Wochen auf diversen Job-Portalen im Internet: Gesucht werde ein „Oberarzt für die Klinik für Pneumologie (w/m/d)”.
Dahinter stand der Halbsatz: „mit der Option zur Chefarztnachfolge”.
Dann gab’s noch zwei Worte, deren tiefere Bedeutung sich erst heute erschließt – nach einem Bericht im Hofheim/Kriftel-Newsletter: „In Vollzeit“ müsse der neue Klinikarzt arbeiten. Ein Teilzeit-Job wird im Varisano-Konzern wohl nur der Geschäftsführung zugestanden…
Seit Erscheinen der Stellenanzeige ist klar: Dr. Thomas Müller, der im Hofheimer Krankenhaus die Klinik für Pneumologie und Allgemeine Innere Medizin leitet, hört auf. Der Mediziner, der wegen seiner ausgewiesenen Kompetenz und seines stets freundlichen und zugewandten Auftretens bei Patienten wie Kollegen und Mitarbeitern höchstes Ansehen genießt, geht in den Ruhestand. Und das auch schon sehr bald: Er wird nur noch bis Ende Oktober als Chefarzt tätig sein.
Mit Dr. Müller geht eine Institution. Der Internist und Pneumologe (Lungenarzt) ist im Krankenhaus Hofheim seit nahezu 35 Jahren tätig. 2018 war er zum Chefarzt ernannt worden; damals gab er als seine Ziele aus: „Erfolg für die Kliniken, respektvoller Umgang mit allen Mitarbeitern und verantwortungsvolle Versorgung der Patienten“.
Alle, die ihn kennen, sagen: Das waren keine leeren Worte. Der Mann lebt seine Maxime vor, jeden Tag. Und so mischt sich in den Wehmut über seinen bevorstehenden Abschied die bange Frage:
Wie wird’s nur nach Dr. Müller weitergehen?
Das ist die große Sorge: Wird die Geschäftsführung die Gelegenheit nutzen und Abteilungen aus Hofheim nach Bad Soden und/oder Höchst verschieben – allein aus dem Grund, um Kosten zu senken?
Aus kaufmännischer Sicht mag eine Konzentration medizinischer Leistungen vielleicht sinnvoll erscheinen.
Für die Kreisstadt könnte es ein Drama werden.
Der Notfallversorgung in Hofheim droht das Aus
In der Jobanzeige wurden die Aufgaben des künftigen Oberarztes unter anderem so vorgestellt: „Schwerpunktmäßig werden Patient:innen mit Krankheiten aus dem Bereich der Lungen- und Bronchialheilkunde behandelt.“
Und dann war da auch zu lesen: „Die Gründung eines Lungenzentrums in Kooperation mit der Thoraxchirurgie des Varisano Klinikums Frankfurt Höchst wird angestrebt.“
Es sind Sätze, die im Hofheimer Krankenhaus für schwere Irritationen sorgen: Warum wird in einer Oberarzt-Stellenausschreibung die Gründung eines Lungenzentrums erwähnt? Soll die Klinik für Pneumologie etwa nach Höchst umziehen, wo bereits ein Varisano-Lungenkrebszentrum besteht?
Wenn das geschieht, könnte der Abbau medizinischer Leistungen in Hofheim schnell weitergehen: Denn die Klinik für Lungenheilkunde ist nicht das einzige Feld, das Dr. Müller seit vielen Jahren „beackert“. Er ist zugleich Chefarzt der „Inneren Medizin“ im Krankenhaus. Wenn mit Dr. Müller „die Innere“ aufgelöst wird, stünde auch die Notfallambulanz vor dem Aus…
Thomas Völker kennt sich aus: Er ist Referent für Gesundheit im Wiesbadener Rathaus; als Vorsitzender der Linken im Main-Taunus-Kreis initiierte er unlängst ein Aktionsbündnis, dass sich parteiübergreifend für die Rettung der drei Varisano-Klinikstandorte stark macht.
Völker sagt: „Für eine funktionierende Notfallversorgung braucht es eine gut aufgestellte Innere Medizin, auch damit nach der intensivmedizinischen Versorgung eine Vor-Ort-Weiterbehandlung möglich ist.“
Und was passiert, wenn Hofheim mit dem Abschied von Dr. Müller die Innere Medizin verliert?
„Das lässt mich befürchten, dass über kurz oder lang die Notfallversorgung in Hofheim eingestellt werden soll. Das wäre eine Hiobsbotschaft für eine wohnortnahe Versorgung im Kreisgebiet.“
Ähnlich pessimistisch – oder realistisch? – meldete sich vergangene Woche ein Mediziner zu Wort, der viele Jahre als Ärztefunktionär tätig gewesen war: Dr. med. Gerd Zimmermann, Facharzt für Allgemeinmedizin in Hofheim, kommentierte auf Facebook den Bericht im Hofheim/Kriftel-Newsletter über das „Chaos im Krankenhaus“ mit den Worten:
„Das stimmt leider alles. Das Hofheimer Krankenhaus wird nie schwarze Zahlen schreiben, und die Geduld von Bad Soden und Höchst wird Grenzen haben.“
Schlechte Kommunikation verschärft Klinik-Krise
Lungen-Klinik weg! Innere Medizin weg! Notfallambulanz weg! Noch sind solche Hiobsbotschaften Mutmaßungen, sie umtreiben vor allem besorgte Mediziner und Klinikmitarbeiter, die auf Antworten drängen – und nicht bekommen. Das lässt ein weiteres Problem im Varisano-Konzern erkennbar werden:
Die Kommunikation in dem Unternehmen schlingert derzeit zwischen Geheimnistuerei und Falschdarstellung. Das kann sich durchaus noch verschärfend auf die aktuelle Krisensituation auswirken:
Kürzlich hatte man per Pressemitteilung verbreiten lassen, dass ein neuer Geschäftsführer eingestellt worden sei: Der bald 60-Jährige Michael Osypka solle helfen, den Verbund „entschlossen“ zu steuern.
Der Mann wird dem Klinikverbund allerdings nur zeitweilig zur Verfügung stehen, weil er weitere Jobs angenommen hat. Diese wichtige Information wurde in der Varisano-Pressemeldung unterschlagen. Auf diese Weise verkommt die Öffentlichkeitsarbeit der Kliniken zur Desinformation: Fakten werden vorsätzlich unterdrückt, um Menschen gezielt zu täuschen – ein solches Verhalten untergräbt jedes Vertrauen in das Unternehmen, was sich noch rächen könnte: Wer will schon in einem Krankenhaus arbeiten, in dem die Geschäftsführung mit der Wahrheit schludert?
Als der Hofheim/Kriftel-Newsletter jetzt Fragen zu Chefarzt Dr. Müller sowie zur Zukunft des Krankenhauses Hofheim stellte, machte die Pressesprecherin des Konzerns sofort dicht: Sie wollte nicht einmal bestätigen, dass Dr. Müller in den Ruhestand geht. Offenbar glaubt man im Konzern, Nachrichten über die Medien nach Gutdünken steuern zu können: Eine Veröffentlichung, teilte die Pressesprecherin mit, werde es erst in der nächsten Woche geben.
Was soll diese Geheimnistuerei, wenn die Nachricht doch längst die Runde macht?
„Allzu tiefes Schweigen macht mich so bedenklich wie zu lauter Schrei“, sagte der griechische Dichter Sophokles.
Die Erkenntnis ist 2.500 Jahre alt. Sie gilt noch heute.
klitzekleiner Lichtblick in düsteren Zeiten
Auch Dr. Thomas Müller will nicht viel sagen, was in seinem Fall verständlich ist: Seine Zurückhaltung zeugt von Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber. Immerhin bestätigt der Mediziner das baldige Ende seiner Chefarzt-Laufbahn: Mit 65, sagt er, habe er doch sicher Anspruch darauf, kürzer zu treten. Aber er wolle einer Veröffentlichung durch die Geschäftsführung natürlich nicht vorgreifen…
Eine Information gibt er dann doch noch preis: Ja, er gehe in den Ruhestand, werde aber weiterhin als Arzt arbeiten. Mehr will er noch nicht verraten. Ob seine künftige Praxis im Krankenhaus Hofheim sein wird? Oder im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) in Kelkheim, wie gemunkelt wird? Warten wir’s ab:
Für Menschen, die auf die ärztliche Kunst dieses Mannes vertrauen, ist die Botschaft ein klitzekleiner Lichtblick in diesen düsteren Klinik-Zeiten.
Was tun eigentlich Hofheims Lokalpolitiker für „ihr“ Krankenhaus? Setzen sie sich für den Erhalt ein – oder sagen sie: Geht uns nix an, der Kreis ist zuständig? Der Hofheim/Kriftel-Newsletter hat eine Umfrage im Stadtparlament gemacht. Alle antworteten – nur einer duckte weg.