Und wieder ist aus einem städtischen Gremium zu berichten, dass der Magistrat gezielt Informationen zu unterschlagen versucht hat. Wieder ging’s um ein Baugebiet, das die Stadtverordneten abnicken sollten, und zwar zack, zack! Vielleicht ist das auch früher schon so gewesen; aber jetzt sitzen im Stadtparlament kritische Geister – auffallend: es sind zumeist Frauen –, die sich nicht mit behördlichen Ausreden abwimmeln lassen. Das alte System funktioniert nicht mehr wie gewohnt, und auch das fällt auf: Einige Männer reagieren darauf äußerst heftig. Teilweise sogar ausfällig. Ein Beispiel.
Es geht um ein geplantes Baugebiet in Langenhain – und um Hochspannungsleitungen, zu denen neue Wohnhäuser zwingend einen Mindestabstand von 400 Metern einzuhalten haben. Denn Wohnen unter Hochspannungsleitungen gilt als eine Gefährdung der Gesundheit.
Eine dieser Leitungen – sie heißt „Ultranet“ – soll Windstrom von der Nordsee nach Süddeutschland transportieren. Die Leitung soll durch ein Wohngebiet in Wildsachsen und über Wohnhäuser in Langenhain führen.
Die Stadt Hofheim will im Verbund mit anderen Kommunen gegen die Trasse klagen. Auch eine Bürgerinitiative „Ultranet – wollnmernet“ erwägt juristische Schritte, was natürlich teuer ist. Hofheims Stadtverordnete haben unlängst beschlossen, die Bürgerinitiative finanziell aus der Stadtkasse zu unterstützen.
In dieser Situation legte Hofheims Magistrat folgenden Vorschlag vor: Am Ortsrand von Langenhain (südlich der Oranienstraße, östlich des Paulinenwegs) soll ein gut 14.000 Quadratmeter großes Gebiet überplant werden – mit einem Lebensmittelmarkt (auf 4.000 Quadratmetern) und zweistöckigen Häusern mit Sozialwohnungen, gebaut von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft HWB.
Für den Wohnungsbau müsse man, so hieß es letztens im Bau- und Planungsausschuss, eine Ausnahmegenehmigung beim Hessischen Wirtschaftsministerium beantragen: Denn der vorgeschriebene Mindestabstand zu einer Hochspannungsleitung werde nicht eingehalten.
Tanja Lindenthal von den „Bürgern für Hofheim“ (BfH) zeigte sich gut vorbereitet: Wie weit das Baugebiet von der Hochspannungsleitung entfernt sei, wollte sie wissen. Bzw. welcher Teil des Baugebiets liege innerhalb des 400-Meter-Korridors: Nur das Grundstück des Nahversorgers? Oder auch die Wohngebäude?
Der Magistrat hatte zwar eine Karte für die Ausschussmitglieder mitgebracht. Die aber half nicht weiter: Die Hochspannungsleitung war nicht eingezeichnet.
Baudezernent Wolfgang Exner (CDU) meldete sich: Er sagte, er habe die Informationen nicht parat. Er werde „gerne eine Karte nachreichen, wo die Leitung zu sehen ist“. Der Ausschuss solle auf alle Fälle der Planung zustimmen, drängelte er, notfalls nur für den Lebensmittelmarkt: Den könne man auch ohne Ausnahmegenehmigung realisieren.
Lindenthal ließ nicht locker: Man habe nichts gegen einen Nahversorger und auch nichts gegen neue Wohnungen, betonte sie gleich mehrmals. Aber wenn eine rechtsgültige Vorschrift 400 Meter Abstand verlange, dann habe das vermutlich gute Gründe. Und der Magistrat werde sich doch bestimmt Gedanken gemacht haben: Wenn er die Sachlage anders beurteile als beispielsweise das Bundesamt für Strahlenschutz, möge er das bitte erklären.
Bürgermeister Christian Vogt (CDU) schaltete sich ein – mit einer Heftigkeit, die überraschte. Er ging Lindenthal frontal an und beschuldigte sie, „grundsätzlich“ falsche Informationen zu verbreiten (sie hatte den 400-Meter-Abstand als „Gesetz“ bezeichnet). Sie solle sich besser informieren, bevor sie sich zu Wort melde, so Vogt, und überhaupt: Sie vertrete ihr Mandat „hobbyweise”.
An dieser Stelle ging Rolf Engelhard von der SPD dazwischen: Der Jurist und frühere Richter bestätigte, dass die 400-Meter-Vorschrift kein Gesetz sei. Es handele sich um „eine Ergänzung zur 26. Bundesimmissionsschutzordnung und zum Bundesimmissionsschutzrecht“, führte er aus. Und befand: „Ein Nicht-Jurist kann da durchaus zu dem Ergebnis kommen, dies ist ein Gesetz.“
Lindenthal blieb überraschend cool: Die Bundesbehörde habe eine eindeutige Empfehlung gegeben, und jetzt wolle sie lediglich wissen, warum und in welchem Ausmaß der Magistrat davon abweichen wolle. „Ich erwarte vom Magistrat, dass er sachliche Antworten gibt.“
Unterstützung bekam sie von Bettina Brestel von den Grünen: „Keiner hat was gegen neue Wohnungen oder einen Nahkauf. Was wir wünschen sind Informationen. Die aber bekommen wir nicht.“
Auch Barbara Grassel von den Linken zeigte Bedenken gegen die vorgelegte Planung – aus anderem Grund: Die Stadt unterstütze eine Klage gegen die Hochspannungsleitung in Wildsachsen und Langenhain – und wolle gleichzeitig Wohnhäuser in unmittelbarer Nähe einer Hochspannungsleitung bauen. Damit untergrabe sie ihre Glaubwürdigkeit und konterkariere die Klagebemühungen der Bürgerinitiative.
Mehr als eine halbe Stunde hitziger Debatte – dann urplötzlich rückte Vogt mit der Wahrheit heraus: „Das gesamte Gebiet liegt innerhalb des 400-Meter-Korridors.“
Das gesamte Gebiet?! Und das will der Planungsdezernent nicht gewusst haben?!
Allseits Verblüffung! Das also ist der Plan: Schöner Wohnen neben der Hochspannungsleitung. Warum hatte Vogt das nicht gleich gesagt? Und warum hatte Exner behauptet, er würde solche Details nicht kennen?
Das wurde nicht mehr gesagt.
Das Schlusswort wollen wir an dieser Stelle Ralf Weber „schenken“, dem FDP-Mann, der für rüde Ausfälle bekannt ist. Der 73-Jährige wollte am Ende, als alles geklärt war, unbedingt noch eine Attacke gegen die Frauen loswerden, die sich herausgenommen hatten, umfassende Information vom Magistrat zu verlangen:
Er verstehe die ganzen Fragen nicht, so Weber. „Man sollte im Ausschuss in der Lage sein, einen Plan auf seinem PC aufzurufen, der die Hochspannungsleitungen zeigt.“ Den könne man notfalls ausdrucken, und dann könne man mit einem Lineal nachmessen, wie groß der Abstand sei.
O-Ton Weber: „Ich find’s unsäglich und eine riesige Zeitverschwendung, hier ernsthaft im Ausschuss danach zu fragen.“
+++ UPDATE +++
Die Stadtverordnetenversammlung fasste am 12. Dezember folgten Beschluss:
- Der Magistrat wird gebeten, einen Antrag auf Zielabweichung vom Ziel Z 5.3.4-7 der 3. Änderung des Landesentwicklungsplans (LEP) zur Realisierung der geplanten Wohnbaufläche mit ergänzendem Lebensmittelmarkt zu erstellen und beim Land Hessen einzureichen.
- Der Bebauungsplan Nr. 155 „Südlich der Oranienstraße“ ist aufzustellen. Ziel ist die Schaffung der planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Errichtung von Wohngebäuden und eines nicht großflächigen Lebensmittelmarktes in der Gemarkung Langenhain. Der Geltungsbereich umfasst Teile der Gemarkung Langenhain in der Flur 43 in einem Bereich südlich der Oranienstraße und westlich des Paulinenweges und wird entsprechend des anliegenden Lageplans begrenzt.
- Der Magistrat wird gebeten, ein Bebauungsplankonzept zu erarbeiten und die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit gem. § 3 Abs. 1 BauGB bzw. der Behörden gem. § 4 Abs. 1 BauGB durchzuführen.
- Der Magistrat wird gebeten, dem PBUV Studien und Untersuchungen vorzustellen, die sich mit Risiken von Wohngebieten innerhalb der Mindestabstände zu Hochspannungs- bzw. Ultranetleitungen auseinandersetzen.
Wenn man von außen draufblickt, erkennt man die Frauenfeindlichkeit der gewählten Koalition. Scheinbar wird vergessen, dass auch Frauen wählen dürfen und diese Parteien mitgewählt haben.
Die verbalen Ausfälle von Herrn Weber kann man nicht ernst nehmen. Da fehlt ebbes an Substanz, wie der Hesse sagen würde. Von den Anderen ist es ein Trauerspiel.
Klar, die alte Männerriege in Hofheim, jahrzehntelange Unterwürfigkeit der Stadtverordneten gewohnt, können halt einfach nicht damit umgehen, daß es mehr Gegenwind gibt als früher. Und dann auch noch von Frauen, die, wie wir alle wissen, doch hinter den Herd gehören und nicht bei den ‚Großen‘ mitzureden haben. Da kommen doch gleich Kastrationsängste auf. Weber und Co mit ihrer Frauenfeindlichkeit sollten sich langsam mal aus ihrem Mittelalter verabschieden und in der Neuzeit ankommen. Frau Lindenthal soll sich bitte von dem Platzhirschen nicht beindrucken lassen!
So, nun zur Sache:
Es gibt nicht nur die Empfehlung der Bimsch, sondern auch den LEP Hessen (Landesentwicklungsplan), der einen Mindestabstand von 400m von Stromleitungen festlegt. Um von diesen 400m abzuweichen, muß ein Zielabweichungsverfahren bei den Landesplanungsbehörden beantragt werden. Und welchen Grund sollten die haben, Hofheim das Baugebiet zu gewähren? Aber natürlich weiß man das im Rathaus besser, und, wissen wir ja nun, bei Baugebieten ist man dort sehr kreativ und läßt sich einiges einfallen, um durchzudrücken, was durchzudrücken ist, komme, was wolle.
Und wir können ja mal raten, wer das geplante Gebiet dann bebauen soll……
Hallo Frau Lindenthal, Hallo Frau Brestel, Hallo Frau Grassel, lassen Sie sich von den selbstherrlichen Herren nicht einschüchtern, bitte stellen Sie weiter und immer wieder die nötigen Fragen. Wir alle haben ein Recht auf die Antworten.
Wollte an dieser Stelle mal in die Diskussion einbringen, dass es in der Tat kein Gesetz gibt, dass einen Mindestabstand fordert.
Steht auch so einseitig auf der Seites des Bundesamtes für Strahlenschutz – siehe hier
https://www.bfs.de/DE/themen/emf/netzausbau/schutz/abstand/abstand_node.html
Die Bundesimmissionschutzverordung sagt auch nur, dass bei Wohnungen Grenzwerte eingehalten werden müssen, die entsprechend durch Messungen zu belegen sind
https://www.gesetze-im-internet.de/bimschv_26/index.html#BJNR196600996BJNE000701116
Und der Landesentwicklungsplan beschreibt auch nur unter 5.2.3.4-5 , dass neue Hochspannungsleitungen so zu planen sind, dass sie 400 Meter weg sind von Wohnbebauungen, aber nicht, dass neue Wohnungen 400 Meter weg gebaut werden müssen von bestehenden Leitungen – das ist ja ein Unterschied (siehe S. 125 Link)
https://landesplanung.hessen.de/sites/landesplanung.hessen.de/files/2022-09/lep_2020_pdf.pdf
Auf der Seite des Amtes für Strahlenschutz steht auch: „Nach aktuellem Stand der Forschung schützt die Einhaltung der Grenzwerte Erwachsene und Kinder selbst bei einer geringen Entfernung vom Wohngebäude zur Hochspannungsleitung vor allen nachgewiesenen gesundheitlichen Wirkungen.“
Also ob 400 Meter überhaupt wissenschaftlich notwendig sind, ist eher zu verneinen. Das kommt in dem Artikel etwas anders rüber….
Ich korrigiere meine Leser ungern. Aber wenn vorgeblich sachliche Informationen derart falsch vorgetragen werden, melde ich mich doch:
Im Landesentwicklungsplan heißt es – das ist noch richtig –, dass neue Hochspannungsleitungen so zu planen sind, dass sie 400 Meter Abstand zu Wohnbebauung haben müssen.
Aber dann heißt es auch, das unterschlagen Sie leider, auf Seite 127 – Zitat:
„Bei der Festsetzung von neuen Baugebieten in Bauleitplänen oder sonstigen Satzungen nach dem Baugesetzbuch, die dem Wohnen dienen oder in denen Gebäude vergleichbarer Sensibilität, insbesondere Schulen, Kindertagesstätten, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen zulässig sind, ist ein Abstand von mindestens 400 m zu einer planungsrechtlich gesicherten Trasse einer Höchstspannungsleitung einzuhalten.“
Und auch das Bundesamt für Strahlenschutz zitieren Sie unvollständig und damit falsch: Ja, das schreibt das Bundesamt, es gebe kein Gesetz, das einen Mindestabstand von Hochspannungsleitungen zu Wohngebäuden vorschreibt.
Aber ausdrücklich wird auch gesagt (steht ebenfalls auf der von Ihnen genannten Seite):
„Es gibt jedoch seit dem Jahr 2013 ein Überspannungsverbot von Gebäuden und Gebäudeteilen, die zum dauerhaften Aufenthalt von Menschen bestimmt sind.“
Und weiter: Für die Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung „bei einem Abstand zu Wohngebäuden von weniger als 400 Metern im Geltungsbereich eines Bebauungsplan“ sind „Erdkabelleitungen vorgesehen und Freileitungen – mit wenigen Ausnahmen – verboten“.
Nach dem Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) Absatz 4 wäre die neue Ultranet Höchstspannungsleitung (Osterath – Philippsburg) weder in Langenhain noch Wildsachsen zulässig, da sie ganz klar innerhalb des 400m Korridors liegt.
Allerdings steht in Absatz (1): “Leitungen zur Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung der im Bundesbedarfsplan mit „E“ gekennzeichneten Vorhaben sind nach Maßgabe dieser Vorschrift als Erdkabel zu errichten und zu betreiben oder zu ändern“.
Leider ist das Ultranet Vorhaben nicht mit „E“, sondern mit A1 und B gekennzeichnet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Zudem unter Absatz (4): „Satz 1 ist weder für die nachträgliche Änderung oder Erweiterung der Leitung noch für den nachträglichen Ersatz- und Parallelneubau anzuwenden“.
Allerdings bestehe laut Kreisen (z.B. eines Mitgliedes des Ortsbeirates von Wildsachsen) kein durchgängiges Planfeststellungs- bzw. Plangenehmigungsverfahren für die ursprünglichen Leitungen. Dies sei höchstrichterlich in Kassel vor dem VGH in einem Verfahren festgestellt worden.
Daher sind diese Leitungen demnach nicht vorhanden (da nicht genehmigt) und können demnach auch nicht zu Ultranet ausgebaut werden. Es müsse zunächst ein Planfeststellungsverfahren erfolgen. Da zwischenzeitlich Wohnbebauung vorherrsche, sei nun zwingend Erdverkabelung vorgeschrieben.
Es wäre dringend angebracht Licht ins „Ultranet“ Dunkel der Stadteile von Hofheim zu bringen. Der Magistrat bzw. die Ortsbeiräte sollten sich erklären.