Das wird einigen Leuten in der Stadt Hofheim richtig weh tun, andere hingegen werden jubilieren: Der Hessische Verwaltungsgerichtshofs hat am heutigen Mittwochabend mit zwei Urteilen entschieden, dass der Bebauungsplan Nr. 134 „Vorderheide II“ unwirksam ist. Ein kleiner Piepmatz, der Gartenrotschwanz, spielt in dem Urteil eine Hauptrolle. Und das ist endgültig: Eine Revision wurde nicht zugelassen.
An diesem Mittwochabend kam das Plenum der Stadtverordneten in der Stadthalle zusammen, ein letztes Mal in diesem Jahr. Die Sitzung begann um 18 Uhr, es stand nur ein Thema auf der Tagesordnung: die finale Entscheidung über die Finanzplanung für das kommende Jahr.
Zuvor wurde Bürgermeister Christian Vogt gefragt, ob er schon etwas aus Kassel gehört habe: Dort sei doch heute über die Zukunft des geplanten Baugebiets Vorderheide II verhandelt worden.
Vogt musste passen: Das Urteil war noch nicht gesprochen. Die Nachricht kam erst später, da hatte sich die Stadtverordnentenversammlung gerade aufgelöst: Um kurz vor 20 Uhr verschickte die Pressestelle des Hessischen Verwaltungsgerichts eine zweiseitige Mitteilung. Überschrift: “Bebauungsplan ,Wohngebiet Vorderheide II’ der Stadt Hofheim am Taunus ist unwirksam”.
Vorderheide II – dort wollte die Stadt ein reines Wohngebiet mit rund 220 Wohneinheiten für angeblich rund 700 Menschen schaffen. Es sollten hauptsächlich Einfamilienhäuser mit großzügigen Gärten angelegt werden. Ein echtes Luxus-Quartier also.
Die Mehrheit der Stadtverordneten war bereit, für diese Pläne hochwertigen Naturraum auf einer Fläche von elf Hektar zu opfern. Extensiv genutzte Streuobstwiesen, ein Lebensraum für Vogelarten, Fledermäuse und weitere Tierarten – das alles sollte verschwinden. Maßgeblich in das Projekt involviert: die Frank Immobiliengruppe, deren Hofheimer Geschäftsführer Michael Henninger Mitglied der CDU-Fraktion im Stadtparlament ist.
Die Planung Vorderheide II reicht bis ins Jahr 2011 zurück. Damals wurde vom Stadtparlament der Bebauungsplan verabschiedet, gegen den allerdings der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) umgehend eine Normenkontrolle beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel beantragte. Daraufhin sagte die Stadt zu, das Verfahren erst einmal ruhen zu lassen: Sie wollte die notwendigen Gutachten nochmals prüfen.
Das zog sich über mehrere Jahre hin, die Gutachten wurden überarbeitet, darunter ein „Fledermausfaunistisches Gutachten“, ein „Artenschutzbeitrag Fledermäuse“ und auch ergänzende „Faunistische Erfassungen“. Außerdem wurde noch ein Gutachten erstellt, um die Auswirkungen der geplanten Wohnbebauung auf das Klima zu ermitteln…
Am 16. Dezember 2015 wurde der Bebauungsplan um Änderungen ergänzt, die sich aus den Gutachten ergeben hatten. Doch wieder meldete sich der BUND beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof: Er beantragte aus verschiedenen natur- und artenschutzrechtlichen Gründen erneut eine Normenkontrolle. Auch Hofheimer Privatleute, die ein Grundstück im Plangebiet bzw. in der direkten Nachbarschaft besitzen, zogen vor Gericht: Sie störten sich vor allem am zu erwartenden Verkehrsaufkommen.
Die Mannen der Frank-Truppe gaben sich unterdessen siegessicher: Man sei “positiv gestimmt” und erwarte das Urteil “mit Gelassenheit”, tönten die Manager der Entwicklungsgesellschaft in einer vor genau fünf Jahren von der Frank-Gruppe veröffentlichten Pressemitteilung. Für die Naturschützer im BUND sei die Auseinandersetzung wohl nur eine “Prinzipiensache”: In der Sache hätten sie bisher nichts vorgetragen…
Vorderheide II: Stadt bot nicht genug Platz für Vogelarten
Heute hat der 3. Senat des Hessichen Verwaltungsgerichtshof den Anträgen der Kläger endgültig stattgegeben. Ausdrücklich genannt wird der Gartenrotschwanz, ein kleiner Piepmatz, der auf der Vorwarnliste gefährdeter Arten steht. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es:
Das geplante Wohngebiet liege in einem Bereich, “der vom Land Hessen im Rahmen von Natura 2000 als Vogelschutzgebiet zugunsten der besonders geschützten Zugvogelart Gartenrotschwanz hätte gemeldet werden müssen (sogenanntes ,faktisches Vogelschutzgebiet’). Auch fehle eine hinreichende Sicherung der von der Planung für häufigere Vogelarten vorgesehenen Ausweichhabitate.”
Die von der Stadt zugunsten mehrerer betroffener Tierarten vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen genügten laut Gericht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Wörtlich heißt es in der Pressemitteilung: Die vorgeschlagenen Ausgleichsmaßnahmen “reichten nicht aus, um die Verwirklichung artenschutzrechtlicher Zugriffsverbote insbesondere bezüglich des Gartenrotschwanzes und der Zwergfledermaus zu verhindern. Diese Defizite könnten auch nicht über eine naturschutzrechtliche Ausnahmelage überwunden werden.”
Grundsätzlich wäre ein Bebauungsplan und damit eine Bebauung in Vorderheide II vielleicht möglich gewesen. Dafür aber hätte es zwingend ein öffentliches Interesse geben müssen. Das war hier wohl nicht zu erkennen: Die geplanten Grundstücksgrößen waren dafür einfach zu üppig bemessen.
In der vom Gericht formulierten Pressemitteilung liest sich das so: “Die hierfür erforderlichen zwingenden öffentlichen Interessen lägen unter anderem deshalb nicht vor, weil der Bebauungsplan die regionalplanerischen Wohndichtevorgaben für Bauprojekte in städtischen Gebieten deutlich unterschreite und damit den gebotenen sparsamen Umgang mit Grund und Boden vermissen lasse.”
Die zwei Urteile haben die Aktenzeichen 3 C 1465/16.N und 3 C 2327/16.N. Der Senat hat eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen. Dagegen allerdings kann die Stadt noch eine Beschwerde einlegen. Über die hätte dann das Bundesverwaltungsgericht Leipzig zu entscheiden.
Manchmal finde ich es richtig gut, daß Goldhamster, “kleine Piepmätze” und noch kleinere Fledermäuse dafür sorgen, daß Sorgen der anreinenden Menschen wahr genommen werden – zugunsten der Natur, die wir alle brauchen.
Immer mehr…
Das klingt nur vordergründig gut, aber habe ich das richtig gelesen? Wenn man nur ordentlich weiter verdichtet hätte, um wieder so fürchterliche Einheitswohnklötze in die Landschaft zu setzen, wäre es öffentliches Interesse gewesen und man hätte es doch vor Gerichz durchsetzen können? Na dann wissen wir ja, wie es jetzt weiter gehen wird. Ein Bauträger wird kommen und die Landschaft voll verdichten und verschandeln.
Ich arbeite für eine amerikanische Großbank und habe erst letztens meine Kenntnisse in Ethics und Compliance erneuern müssen. Was in Hofheim geschieht, ein Bauunternehmer, der in einem Stadtrat sitzt, schanzt sich sozusagen selber Aufträge zu- das ist gemäß unserer Leitlinien Korruption in ihrer miesesten Form und würde sofort durch arbeitsrechtliche Maßnahmen und strafrechtliche Verfolgung sanktioniert. Dem schamlosen Treiben wurde gerichtlich ein Ende gesetzt, dieses Mal. Danke, Hessischer Verwaltungsgerichtshof!
Das ist noch nicht alles: Genau dieser Bauträger wurde von der Hofheimer Stadtverordnetenversammlung in den Regionalverband entsandt, wo die Flächennutzungspläne aufgestellt werden. Dass eine Fläche dort als mögliches Bauland ausgewiesen wird, ist die Voraussetzung dafür, dass ein Bebauungsplan aufgestellt werden kann. Wer dies nicht nur beeinflussen, sondern sein Insiderwissen zum Ankauf von Gartenflächen rechtzeitig einsetzen kann, bevor sie als Bauland zugelassen werden, hat für sich als Bauträger alles richtig gemacht.
Mich wundert die Entscheidung des Gerichtes doch sehr. Der wahrscheinlich grün angehauchte Richter wörtlich:
Auch ein zwingendes öffentliches Interesse an dem Wohngebiet liege nicht vor, weil der Bebauungsplan die Wohndichtevorgaben deutlich unterschreite. Daran ändere die ungebrochen hohe Nachfrage nach Wohnraum im Rhein-Main-Gebiet nichts.
Wie sollen die Menschen den wohnen? In engen “Hühnerställen” wie Marxheim 2, am besten mit Schimmeldämmungen? Ein 600 – 800 qm² Grundstück ist doch nicht unangemessen für eine Familie mit 2 Kindern. Und in diesem Gebiet grenzt der Wald an. Die Vögel haben da genug Nistplätze.
Also wenn man 750.000 – 1 Mio Euro auf den Tisch legt, erwartet man ein bisschen mehr als eine Eigentumwohnung oder ein Reihenhaus mit 200 qm² Grundstück, wo alle Nachbarn sich gegenseitig auf den Keller schauen können und das Wohnzimmer als Parkplatz dient.
Schön für Sie, dass Sie zu den Menschen gehören, die 1 Mio. Euro “auf den Tisch legen” können.
Ich kenne viele Menschen, auch im MTK und auch in Hofheim, die Schwierigkeiten haben, für ihre Familie etwas Gescheites zum Verzehr auf den Tisch stellen zu können.
Das ist doch die Perversität, innerhalb derer wir uns derzeit bewegen. Und um das zu erkennen, braucht man auch nicht “grün angehauchter Richter” zu sein. Das sagt einem einfach der gesunde Menschenverstand.
Wie wäre es einfach mit etwas mehr Verzicht (z. B. auch auf Polemik) und etwas mehr Demut vor der Natur, die wir doch – im Gegensatz zu 800qm für vier Personen – alle benötigen?
Ich bin auch darüber traurig, dass viele Menschen in Armut leben. Aber das liegt daran, dass Deutschland den Anschluss international verliert. Wir haben derzeit noch ein paar Hidden Champions im Mittelstand und die Autoindustrie. Alle zukünftigen Schlüsseltechnologien haben wir verspiel. Der Preis von 1 Mio ist auch inflationsbedingt (die wahre Inflation sieht man an den Assetpreisen, eben auch Immobilien und teilweise Blasenbildung) entstanden. In Rhein Main haben vor allem die Banken enorm gelitten, teils selbstverschuldet, teils durch ausbleibenden Support in der Politik.
Politisch muss sich etwas ändern, und wir müssen es irgendwie als Land hinbekommen, wieder starke Branchen mit gehaltsattraktiven Paketen dazuzubekommen. Es ist keine Lösung, in die Unter- und Mittelklassigkeit zu verfallen und einfach immer weiter abzuspecken. Immer kleinerer Wohnraum, Neid, Aggresivität gegen Menschen, die Aufgrund der Assetaufwertung zu relativem Wohlstand gekommen sind, bringt Sie persönlich nicht weiter.
Vorderheide 2 war von Anfang an, vor über 20 Jahren, als das Wohngebiet geplant, wie es auf dem Bebauungsplan ausgewiesen ist. Ein- und Zweifamilienhäuse. Der Preis spielt hier keine Rolle ( 1 €, 100.000 € oder 1.000.000€). Das war der Lebensgefühl der 70’er, 80’er und 90’er Jahre. Gut verdienen, entspannt leben. Heute heißt es: Schuften, schlecht wohnen und viel bezahlen. Das muss sich ändern.
Und der Richterspruch ist eben ein Eingriff in die Freiheit, weil die Stadt Hofheim nichts falsch gemacht hat. Die Kläger über den Bund sind übrigens größtenteils Anwohner aus dem Wohngebiet Vorderheide 1, die von Anfang an wussten, das Vorderheide 2 geplant war. Die Wohngebiete wurden nämlich fast zeitgleich geplant. Nur daran wollte sich dann niemand mehr erinnern ;-).
Wenn die Stadt Hofheim nichts falsch gemacht hätte, hätte das Gericht nicht den Plan kassiert.
So ist es! Es gibt gute Gesetze zum Schutz der Natur, doch diese werden gerne versucht zu umgehen. In Hessen stehen Streuobstwiesen unter Naturschutz und bei einem Gebiet über 10 ha ist eine entsprechend große und qualitativ gleichwertige Ausgleichsfläche nötig. Diese wurde versucht, durch zig verstreute, minderwertige Mikro-Flächen zu liefern. Dass so etwas nicht funktioniert, hätte klar sein müssen. Wurde auch im Vorfeld angemerkt. Das ist aber nur einer von zahlreichen Gründen gegen die Bebauung. Das Thema ist SEHR vielschichtig und das Gericht hat sich erfreulicherweise sehr gewissenhaft mit dem Fall beschäftigt.
Das ist die wohl beste Nachricht des Jahres! Halleluja.
Wir Anwohner sind schon mehr als reichlich bestraft durch diese unsagbar häßliche neue Steinbergschule und die beiden Monsterbaustellen im Langgewann und an der Bienerstrasse.
Hier kann man die Ausmaße des Gemauschels mit den Bauträgern sehen und beweinen.
Bleibt nur zu hoffen, dass die sinnlosen schwarzen Hartplastikzäune auf den Streuobstwiesen asap verschwinden.
Volle Zustimmung. Hofheim ist kaum wiederzuerkennen. Überall wird gebaut und das bei einem Rückgang der deutschen Bevölkerung. Die Entscheidung aus Kassel ist somit sehr zu begrüßen.
Nichts ist beständiger als der Wandel! Was vor 10 Jahren geplant war, muss heute nicht mehr unbedingt sinnvoll sein und sollte den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden. So nunmal auch im Rhein-Main-Gebiet. Realität ist, dass immer weniger Fläche zur Verfügung steht, da müssen alle zurückstecken, unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten. Gut, dass es Gerichte gibt und positive Urteile sprechen.
Da freue ich mich, dass die Stadt so amateurhaft plant, resp ihre beauftragten und selbstherrlichen Planer und ich dort weiterhin spazieren kann durch Natur statt über Strassenasphalt.
Interessen aktueller Anwohner werden offenbar vom Gericht besser geschützt als von einigen gewählten Parlamentariern.
Die geforderten Bebauungsdichte von 500-600 Wohneinheiten, die für ein öffentliches Interesse erforderlich sein würde, wäre dann vielleicht sogar mit Sozialwohnungen verbunden .
Das geht ja natürlich nicht in der Nachbarschaft von Luxusdomizilen.
Daran ist ein Bauträger, der sich selbst über den Stadtrat kontrollieren darf, nicht interessiert.
Mich würde ja schon interessieren, wer wann welche Grundstücke gekauft hat und wer mit Stadträten und Bauträgern verwandt ist.
Das klingt nach Vetternwirtschaft erster Güte.